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Veröffentlicht am 10.11.2022 von trotz ms Redaktion
Familienplanung kann ein wichtiger Aspekt im Leben sein – das gilt auch für Menschen mit MS. Welche Auswirkungen Multiple Sklerose auf das Liebesleben, eine Schwangerschaft und die Stillzeit haben kann, erklärt Neurologin Prof. Kerstin Hellwig im Interview.
Prof. Kerstin Hellwig ist Neurologin am Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum. Als Initiatorin des Deutschsprachigen Multiple Sklerose- und Kinderwunsch-Registers (DMSKW) bündelt sie Daten von tausenden Menschen mit MS zum Verlauf der Erkrankung in der Zeit der Schwangerschaft und darüber hinaus sowie zur Entwicklung ihrer Kinder.
Es gibt verschiedene Zeitpunkte, zu denen verschiedene Fragen wichtig werden. Zu Beginn, wenn die Diagnose gestellt wird, beschäftigt Betroffene häufig die Frage: Wie ist die Vererbbarkeit der Erkrankung? Der große Themenkomplex, weswegen ich das DMSKW-Register gegründet habe, ist der Umgang mit Immuntherapien in der Schwangerschaftsplanung. Behandlungsteams stehen dabei vor der Entscheidung: Können wir – oder müssen wir sogar – MS-Medikamente weiterhin geben? Schwangere fragen sich oft: Wie kann ich entbinden? Kann ich eine Periduralanästhesie (PDA) bekommen? Kann ich stillen – mit MS-Medikamenten oder ohne? Mein Rat ist, die Schwangerschaftsplanung mit dem Neurologen abzusprechen: Wie gehe ich bei meinem individuellen Plan, Körper und mit meinem Medikament vor? Setze ich ein Medikament ab? Wechsle ich es? Zu welchem Zeitpunkt sollte das geschehen? Entscheidend dafür ist zum Beispiel der individuelle Verlauf der MS, wie alt bin ich und ob es irgendwelche Gründe gibt, die dagegensprechen, schnell schwanger zu werden.
„Eine Schwangerschaft mit MS erfordert ein kleines bisschen mehr Planung.“
Mein großes Anliegen ist die Planung von Schwangerschaft und Stillzeit – wenn nötig, auch unter Therapien. Die braucht es nicht in allen Fällen, aber manchmal. Mein Appell an Betroffene, Wissenschaftler, Ärzte, Pharmafirmen und Zulassungsbehörden ist vor allem, diese Option nicht auszuschließen.
In der Schwangerschaft sinkt das Schubrisiko, vor allem im letzten Drittel der Schwangerschaft, und steigt dann nach der Geburt wieder an. Dadurch ist die Schubrate im Mittel ähnlich zu der vor der Schwangerschaft. Familienplanung gehört für viele Menschen einfach zu den extrem wichtigen Aspekten des Lebens. Und dann kriegt man das auch hin. Wir müssen das, denn es sind nicht nur vollkommen gesunde Frauen und Männer, die Kinder kriegen wollen. Sondern es gibt auch solche mit einer chronischen Erkrankung. Und wenn man für diese chronische Erkrankung Therapien braucht, dann müssen wir das mit der ganzen Truppe zusammen hinbekommen. Das Thema Schwangerschaft und Stillzeit nicht ausklammern, sondern das beste Risiko-Nutzen-Verhältnis finden – für zukünftige Eltern und Kinder.
„Ich glaube ehrlich gesagt, dass wir auf einem ziemlich guten Weg sind.“
Wer eine Schwangerschaft plant oder bereits schwanger ist, kann an unserem Register teilnehmen. Meine Mitarbeiter rufen dann alle drei Monate an, nachher in längeren Abständen. Sie fragen, wie es Schwangeren geht, nachher, wie es dem Baby geht und so weiter. Diese Daten werden gesammelt und ausgewertet, immer mit dem Ziel, die beste Beratung zu finden und das beste Vorgehen. Ein grundsätzliches Problem, nicht nur bei der MS, sondern überhaupt bei Frauen, die chronisch erkrankt sind und schwanger werden wollen: dass wir Medikamente haben, aber diese den Bereich Schwangerschaft und Stillzeit im Wesentlichen ausklammern. Häufig gibt es ganz konservative Empfehlungen, wie man mit diesen Medikamenten umgeht. Am besten würde man alles absetzen, steht meistens darin, Jahre vorher im besten Fall – ich übertreibe dabei natürlich, aber das ist eben nicht immer möglich mit einer chronischen Erkrankung. Den besten Umgang zu finden, ist das Hauptziel des Registers.
Das ist definitiv die neurologische Fachkraft, das muss man unbedingt sagen. Wir haben einfach unfassbar viele MS-Medikamente in den letzten Jahren dazu bekommen. Das zu überblicken, kann man nicht von einem Gynäkologen erwarten. Natürlich sollte man eine Schwangerschaft ganz klar auch mit einem Gynäkologen planen und besprechen, aber Therapiefragen muss der Neurologe beantworten. Viele Patienten gehen in spezielle MS-Zentren, weil alles rund um die Therapie sehr komplex ist. Es gibt außerdem ein ganz tolles Projekt von der DMSG, das heißt „Plan Baby“. Da sind alle Berater der Landesverbände speziell geschult. Außerdem biete ich zusammen mit der DMSG NRW viermal im Jahr ein Webinar für den ganzen deutschsprachigen Raum an. Auf der Website des Deutschsprachigen MS- und Kinderwunsch-Registers, www.ms-und-kinderwunsch.de, gibt es viele Informationen, auch ganz konkret zur Familienplanung. Unter Veranstaltungen findet sich immer ein aktueller Flyer, wann die nächsten Patientenveranstaltungen stattfinden. Gerade bei komplexen Fällen, die im Webinar nicht abgedeckt werden, kann man mir eine E-Mail schreiben. Das machen zum Beispiel auch viele Ärzte, die dann noch einmal eine ganz spezielle Frage haben.
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Eigentlich ganz viele. Die MS ist die Erkrankung der 1.000 Gesichter, weil sie symptomatisch so vielfältig ist. Das fängt schon mit Fatigue an, der abnormen Erschöpfung, die bei MS ganz häufig auftritt. Sie allein kann schon dazu führen, dass man einfach zu erschöpft ist und deswegen das Liebesleben reduziert ist. Es können aber auch häufig andere Symptome sein, wie Missempfindungen, die natürlich auch den Genitalbereich betreffen können, vaginale Trockenheit, Erektionsstörungen oder auch Störungen der Ejakulation, sprich des Samenergusses. Da sind verschiedene Probleme möglich. Manche dieser Symptome kann man medikamentös behandeln, zum Beispiel, um Erektionsstörungen zu vermeiden. Es gibt Gleitgels, die man anwenden kann. Es ist möglich zu überlegen, ob man zum Beispiel Uhrzeiten verändert: Wenn man abends total erschöpft ist, hat man vielleicht eher morgens Sex... Sexuelle Funktionsstörungen sind vollkommen unterthematisiert. Das ist ein sehr intimes Thema, das zu wenig angesprochen wird. Das hängt auch häufig damit zusammen, wie die Akzeptanz der Erkrankung ist. Dann kann es sein, dass man eine begleitende Gesprächstherapie braucht.
Das komplette Gespräch mit Prof. Hellwig kannst Du in Folge 14 von trotz ms DER PODCAST anhören.
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