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Leistungsansprüche

GdB bei MS: Gleichberechtigung mit dem Schwerbehindertenausweis

11 Minuten

Veröffentlicht am 05.03.2023 

Im Job, privat oder im öffentlichen Leben – ein Schwerbehindertenausweis ist dazu da, Menschen mit Einschränkungen die Teilhabe zu erleichtern oder überhaupt zu ermöglichen. Wer sich frühzeitig damit auseinandersetzt, kennt im Fall der Fälle die eigenen Rechte und Möglichkeiten und kann Leistungen sowie Unterstützungsangebote in Anspruch nehmen.

Herbert Temmes

Herbert Temmes ist Bundesgeschäftsführer der DMSG und Präsident der European MS Platform. Im Interview gibt er Antworten auf wichtige Fragen rund um den Grad der Behinderung, bietet hilfreiche Einblicke und praktische Tipps.

Warum kann es bei MS-bedingten Einschränkungen sinnvoll sein, einen Grad der Behinderung (GdB) feststellen zu lassen?

MS stellt keine Behinderung per se dar. Das trifft nur zu, wenn die Symptome im Alltag entsprechend einschränken. Den GdB bescheinigen zu lassen, bringt keine Vorteile, sondern Nachteilsausgleiche. Diese können finanzieller Art, zum Beispiel steuerliche Ermäßigungen, sein oder sachlicher Art wie beispielsweise Anspruch auf Parkerleichterungen, Sonderurlaub oder besonderer Schutz des Arbeitsplatzes.

Wichtig zu wissen: Besteht ein Arbeitsverhältnis seit mindestens sechs Monaten, ist die Frage unter bestimmten Voraussetzungen zulässig und muss wahrheitsgemäß beantwortet werden.

Wann ist die Frage nach dem Schwerbehindertenausweis rechtmäßig?
Das Bundesarbeitsgericht begründet ein berechtigtes Interesse von Arbeitgebenden, nach dem Vorliegen einer Schwerbehinderung zu fragen. Voraussetzung ist, dass das Arbeitsverhältnis seit mindestens sechs Monaten besteht, da dann der besondere Kündigungsschutz gilt. Die Frage ist zum Beispiel zulässig, um Pflichten nachzukommen – etwa um eine beabsichtigte Kündigung vorbereiten zu können. Liegt eine Schwerbehinderung vor, muss das Integrationsamt einbezogen werden. Rechtens ist die Frage außerdem, um festzustellen, ob sogenannte Ausgleichszahlungen erfolgen müssen. Dazu sind Arbeitgebende verpflichtet, die mindestens 20 Arbeitsplätze bieten, aber weniger als fünf Prozent davon mit Menschen mit Behinderungen besetzen.

Der Status ist für die meisten nicht auf ewig festgelegt, sondern zu Beginn befristet. Nur in besonderen Ausnahmefällen wird der Ausweis nach Erstbeantragung gleich auf Dauer ausgestellt. Dann hat man die Möglichkeit zu entscheiden, ob man einen Verlängerungsantrag stellen möchte. Es ist legitim zu sagen, man hatte zu einem bestimmten Zeitpunkt so massive Funktionsbeeinträchtigungen, dass man den Antrag gestellt hat – vielleicht weil man die finanziellen Nachteilsausgleich brauchte oder seinen Arbeitsplatz gesichert haben wollte. Wenn man den Schwerbehindertenausweis im Laufe seines Erwerbslebens nicht mehr benötigt, stellt man keinen Erneuerungs- oder Verlängerungsantrag. Er läuft dann aus und der Status geht automatisch verloren.

Welche MS-typischen Einschränkungen begründen den GdB?

Das kann fast jedes MS-Symptom sein, wenn es eine entsprechende Funktionseinschränkung mit sich bringt – von Mobilitätseinschränkungen bis hin zur Fatique. Im Verfahren der Feststellung kann ein Gutachten erstellt werden oder aufgrund der Aktenlage der Grad der Behinderung ermittelt werden.

„Behinderung“ definiert im 9. Sozialgesetzbuch:

Beeinträchtigung (…) liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht.“ Dazu zählen körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen. Voraussetzung für die Anerkennung ist, dass die Beeinträchtigungen dauerhaft bestehen, „mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate”, sowie die Möglichkeiten zur gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft beeinflussen können.

Mehr Infos und Unterstützung für vielfältige Lebensbereiche gibt es beim Wegweiser zum Thema Leben mit Behinderungen.

Eine Schwerbehinderung liegt bei Menschen mit MS vor, wenn die Symptome zu Funktionsbeeinträchtigungen führen, die den Menschen in seinem Alltag stark einschränken. Aufgrund der Funktionsbeeinträchtigungen muss ein Grad der Behinderung von mindestens 50 vorliegen und festgestellt sein. Das ist für Viele zu Beginn der Erkrankung nicht automatisch gegeben, sondern sie haben Schübe, deren Beeinträchtigungen dann auch wieder verschwinden und durch die sie die Funktionsbeeinträchtigungen durch die MS phasenweise gar nicht so stark spüren.

Welche Hürden gibt es bei der Antragsstellung?

Es gibt keine deutschlandweite Antrag-Stelle. Man muss sich in dem Bundesland, in dem man lebt, über die zuständige Stelle informieren. Es müssen außerdem sehr viele medizinische Angaben gemacht werden. Es reicht nicht, nur eine Diagnose hinzuschreiben. Das erfordert eine klare Beschreibung der Beeinträchtigungen, am besten anschaulich, mit den eigenen Worten. Dabei geht es darum, wie die Person ihre Einschränkungen in ihrem Leben erfährt.

„Die Diagnose selbst ist nicht entscheidend, sondern die Funktionseinschränkungen im Alltag.“

Wie unterstützt die DMSG bei der Beantragung?

Betroffene können sich bei der DMSG melden, um sich beraten zu lassen und den Antrag gemeinsam auszufüllen. Der erste Weg wäre hier, ins Internet zu gehen, Schwerbehindertenausweis und DMSG einzugeben und die Telefonnummer des regionalen Landesverbands herauszusuchen. Da können Betroffene ganz konkret nachfragen – einfach sagen: „Ich würde gerne einen Antrag auf Schwerbehinderung stellen. Kann mir mit dem Verfahren jemand helfen?“ Das kann durch einen Hausbesuch passieren oder auch am Telefon. Dank moderner Medien können wir auch über viele Kilometer voneinander entfernt gemeinsam den Antrag durchgehen. Der Berater auf der anderen Seite weiß die entsprechenden Fragen zu stellen. Ich glaube, das ist einer der wichtigsten Punkte: ein Gegenüber zu haben, das sich auskennt, den Rücken stärkt und einfach ganz konkret fragt – auch nach Aspekten, an die man vielleicht selbst gar nicht denkt.

Was können Sie MS-Betroffenen mit auf den Weg geben?

Hilfreich kann es sein, Arztbriefe und Entlassungsberichte aus einer Reha dem Antrag beizufügen – bitte immer nur in Kopie und die Originale selbst behalten. Es empfiehlt sich auch, Ärzte vorab zu informieren, wenn man einen Antrag auf Feststellung des GdB gestellt und sie als Behandelnde angegeben hat. Das hilft bei der Vorbereitung, weil es im Verfahren sein könnte, dass sie dazu kontaktiert werden. Ganz wichtig: bitte keine Originale mitschicken! Dokumente wie Entlassungsbriefe der Reha oder Arztberichte immer nur in Kopie beizufügen! Und das Wichtigste: nichts überstürzen. Das Verfahren dauert in der Regel ohnehin mehrere Wochen bis mehrere Monate. Also: Zeit lassen, um sich kundig zu machen, sich gut vorbereiten, mit Menschen austauschen, die sich mit der Thematik auskennen und beratend zur Seite stehen.

Inhaltlich geprüft: M-DE-00015234

Tipp

Was ist wichtig bei der Antragstellung oder Begutachtung? Einen Überblick verschafft die Broschüre der DMSG zum Thema „(Schwer-)Behindertenrecht für MS-Erkrankte“. Bestelle sie kostenlos auf www.dmsg.de oder bei trotz ms MEIN SERVICE unter der Rufnummer 0800.1010800.

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