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Ausbildung & Beruf

Nachgefragt: Arbeiten mit MS – meine Rechte im Berufsleben

13 Minuten

Veröffentlicht am 05.03.2023 

Arzttermine können viel Zeit in Anspruch nehmen und auch in die Arbeitszeit fallen. Doch sind sie notwendig zur Kontrolle Deines Gesundheitszustandes. Ist ein erfülltes Berufsleben wichtig für Dich, fragst Du Dich vielleicht: Kann ich mit MS weiter arbeiten?

Portrait Dr. Jeanette Nolte

Dr. Jeanette Nolte ist Fachanwältin für Arbeitsrecht. Im Interview gibt sie Einblicke, was berufstätige Menschen mit MS beachten sollten und welche Möglichkeiten Du in Anspruch nehmen kannst, um im Berufsleben nicht benachteiligt zu werden.

Muss ich mit Arbeitgebenden über meine MS sprechen?

Es gibt keine Auskunftspflicht über chronische Erkrankungen, wenn dadurch keine Gefahr für sich selbst oder andere besteht. Informieren muss man den Arbeitgeber, wenn man aufgrund der Erkrankung dauerhaft gehindert ist, seine Tätigkeit gemäß dem Arbeitsvertrag auszuführen. Es ist aber sinnvoll, zu überlegen, die MS offen anzusprechen, zum Beispiel, um ungeklärte Ideen bei häufiger Arbeitsunfähigkeit auszuräumen. Vor allem bei einer Schwerbehinderung kann offene Kommunikation sinnvoll sein, weil dadurch zusätzliche Ansprüche auf Nachteilsausgleiche entstehen. Wichtig: bis zum Ablauf der Probezeit warten (in der Regel sechs Monate). Dann greift der Kündigungsschutz.

Ein besonderer Kündigungsschutz besteht für Menschen mit Schwerbehindertenausweis sowieihnen Gleichgestellten. Das gilt auch, wenn spätestens drei Wochen vor Zugang der Kündigung ein Antrag auf Anerkennung gestellt wurde, aber erst im Nachhinein positiv darüber entschieden wird. Innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung müssen Arbeitgeber über die Schwerbehinderung, Gleichstellung oder einen entsprechenden Antrag informiert werden. Dieser besondere Kündigungsschutz versetzt Betroffene in eine Situation, in der sie etwas unbeschwerter ihre Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber geltend machen können.

Welche Unterstützung gibt es, um Menschen mit MS im Arbeitsverhältnis nicht zu benachteiligen?

Es gibt in Deutschland das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das vor Diskriminierung aufgrund einer Behinderung schützt. Ein Antrag auf Feststellung des Grads der Behinderung kann gestellt werden, wenn die Teilhabe im Alltag oder am gesellschaftlichen Leben dauerhaft stark beeinträchtigt ist. Aber eine chronische Erkrankung wie MS stellt per se keine Behinderung dar. Dennoch sind Arbeitgeber zur Rücksichtnahme verpflichtet. Daraus ergibt sich der Anspruch, gemeinsam einen leidensgerechten Arbeitsplatz zu schaffen.

Kenne Deine Rechte!
Der Anspruch auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz ist gesetzlich verankert:

Die notwendigen Anpassungen und Investitionen müssen für alle Beteiligten zumutbar sein. Informier Dich, hol Dir Anregungen für Hilfsmittel am Arbeitsplatz sowie Tipps zu Finanzierung, Unterstützung und Anlaufstellen.

Betroffene können ein Gespräch mit dem Arbeitgeber führen, wie der Arbeitsplatz gestaltet werden kann, um zu unterstützen und Arbeitsunfähigkeit zu vermeiden. Das hat Vorteile für beide Seiten. Sind die Einschränkungen so stark, dass man bestimmte Tätigkeiten oder Teile davon nicht mehr ausüben kann, ist gemeinsam zu überlegen, eine neue Beschäftigung auf etwa gleichem Niveau innerhalb des Unternehmens zu finden, bei der der Arbeitnehmer aufgrund seiner Einschränkungen besser zurechtkommt als zuvor.

Wenn man auf den Arbeitgeber zugeht, sollte man genau wissen, was man fordern kann und sollte sich auf jeden Fall beraten lassen. Wenn man nicht direkt zum Anwalt gehen möchte – der allerdings auch nicht nach außen, vor dem Arbeitgeber auftreten muss – kann man sich an den Betriebsrat oder Personalrat wenden oder im Fall einer Schwerbehinderung an die Schwerbehindertenvertretung. Auch außerhalb des Betriebs gibt es Institutionen wie die Antidiskriminierungsstelle, das Integrationsamt oder örtliche Beratungsstellen.

„Die eigenen Rechte sollte man ansprechen, durchsetzen und gegebenenfalls auch einklagen.“

Es ist immer Fingerspitzengefühl gefragt. Ich berate meine Mandanten gerne und schlage vor: persönlich mit diesem Hintergrund und den Argumenten auf den Arbeitgeber zugehen und versuchen, im Guten zu regeln. Zeigt der Arbeitgeber keine Einsicht bei wichtigen Punkten im Arbeitsverhältnis, die streitig oder problematisch für den Arbeitnehmer sind, bleibt manchmal keine andere Möglichkeit, als rechtliche Schritte einzuleiten. Zusätzlich können Betroffene den Betriebsrat, Personalrat oder die Schwerbehindertenvertretung einschalten. Natürlich darf auch niemand dafür benachteiligt werden, dass er seine Rechte geltend macht – darf vor allem nicht gekündigt werden, indem der Arbeitgeber sich zum Beispiel darauf beruft, dass dadurch das Vertrauensverhältnis zerstört wäre. Wenn man sich vorsorglich informieren möchte, tragen Rechtsschutzversicherungen die Kosten für anwaltliche Beratung in der Regel nicht. Ist bereits eine Rechtsverletzung eingetreten, ist die Kostenübernahme durch die Rechtsschutzversicherung häufig kein Problem.

Arzt- und Therapietermine können bei MS zeitintensiv sein. Was gibt es zu beachten?

Arzttermine gelten grundsätzlich als Privatsache. Das heißt: Sie dürfen nicht während der Arbeitszeit wahrgenommen werden. Das ist bei einer 40-Stunden-Woche natürlich äußerst schwierig – vor allem, wenn zeitintensive Untersuchungen erforderlich sind. Betroffene müssen sich darum bemühen, einen Termin außerhalb der Arbeitszeit zu erhalten. Es besteht aber das Recht, bezahlt freigestellt zu werden, wenn ärztlich bescheinigt wird, dass das nicht möglich ist. Bei Beschäftigten in Teilzeit oder mit einer Gleitzeitregelung werden oft schärfere Anforderungen gestellt, die versäumte Arbeitszeit nachzuholen. Denn in solchen Fällen ist regelmäßig zu erwarten, dass es möglich ist, Arzttermine außerhalb der Arbeitszeit wahrzunehmen. Wichtig ist, die Regelungen im Arbeits- oder Tarifvertrag zu prüfen.

Wie viele Krankheitstage sind für Arbeitgebende zumutbar?

Bei akuter Arbeitsunfähigkeit ist unverzüglich der Arbeitgeber zu informieren und gegebenenfalls eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einzureichen. Für die Dauer von sechs Wochen Arbeitsunfähigkeit (in der Regel 30 Arbeitstage) innerhalb eines Jahres aufgrund einer Erkrankung wird weiterhin Lohn bezahlt. Dann greift die Krankenkasse und zahlt Krankengeld.

Um mit einem weitverbreiteten Irrglauben aufzuräumen: Der Arbeitgeber darf unter bestimmten Voraussetzungen auch wegen einer Erkrankung kündigen, sofern unzumutbare Fehlzeiten vorliegen. Diese legt das Bundesarbeitsgericht fest: auf mehr als 30 Tage im Jahr. Im Falle einer krankheitsbedingten Kündigung wird außerdem gerichtlich geprüft, ob in Zukunft mit weiteren unzumutbaren Fehlzeiten zu rechnen ist und ob eine Interessensabwägung die Kündigung rechtfertigt.

Die MS-Therapie kann starke Nebenwirkungen mit sich bringen. Habe ich ein Anrecht auf Auszeiten vom Beruf, ohne dass es ein Kündigungsgrund ist?

Jeder hat das Recht auf Verringerung der Arbeitszeit – ohne Angabe von Gründen. Sofern keine betrieblichen Gründe dagegensprechen, müssen Arbeitgeber dem zustimmen und Vorkehrungen treffen, um diesem Wunsch zu entsprechen. Das Problem ist: Die Rückkehr in die Vollzeitbeschäftigung ist nur möglich, wenn der Arbeitgeber zustimmt. Mit der sogenannten Brücken-Teilzeit kann die Verringerung der Arbeitszeit für einen bestimmten Zeitraum beantragt werden. Darüber hinaus gäbe es die Möglichkeit, sich mit dem Arbeitgeber auf unbezahlten Urlaub zu einigen.

Du hast weitere Fragen zum Thema? Die Broschüre „Arbeiten mit MS" der DMSG erklärt leicht verständlich Deine Rechte im Berufsleben. Bestelle sie kostenlos auf www.dmsg.de oder bei trotz ms MEIN SERVICE unter der Rufnummer0800.1010800.

Inhaltlich geprüft: M-DE-00015077

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