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Therapie & Medikamente

Nachgefragt: MS-Therapie nach Patientenwunsch – eine Untersuchung gibt Aufschluss

8 Minuten

Veröffentlicht am 15.10.2020  von  trotz ms Redaktion

Welche Aspekte liegen MS-Patienten bei der Therapiewahl am Herzen? Dieser Frage ging eine internationale Untersuchung nach: Im Rahmen einer Online-Befragung gaben 485 Menschen mit schubförmiger MS an, welche Vorlieben und Erwartungen sie in puncto MS-Therapie haben. Der Neurologe Dr. Bernd Brockmeier war an der Durchführung der Untersuchung beteiligt. Im Interview fasst er die Ergebnisse zusammen und geht auf deren Bedeutung für die neurologische Praxis ein.

Dr. Bernd Brockmeier ist Facharzt für Neurologie und behandelt in einer neurologischen Gemeinschaftspraxis in Berlin zahlreiche Menschen mit MS.

Lieber Dr. Brockmeier, Sie haben eine Untersuchung unterstützt, die versucht herauszufinden, welche Aspekte und Ziele MS-Patienten in ihre Therapieentscheidung einbeziehen. Warum ist eine solche Untersuchung wichtig?

Unser Ziel ist es, gemeinsam mit dem Patienten zu entscheiden, welche Therapie für ihn infrage kommt. Deshalb ist es wichtig zu wissen, was der Patient eigentlich erwartet. Im Rahmen der Untersuchung wurden die Patienten befragt, welche Therapie sie bevorzugen würden: ob sie lieber Tabletten nehmen, ob es für sie von Bedeutung ist, ob ein Medikament infundiert wird, also per Infusion verabreicht wird, und ob das Intervall der Verabreichung wichtig ist – sei es bei der Tabletteneinnahme oder bei der Verabreichung per Injektion oder Infusion.

Was sind für Patienten die wichtigsten Kriterien bei der Wahl einer Therapie?

Für Patienten stehen die Wirksamkeit eines Medikaments sowie die Kriterien „Sicherheit“ und „Anwendungsform“ bei der Therapiewahl an erster Stelle. Sicherheit oder Verträglichkeit bedeutet in diesem Zusammenhang, dass möglichst wenige Nebenwirkungen auftreten. Beim Kriterium “Anwendungsform” geht es darum, ob man das Medikament in Form von einer Tablette, Injektion oder Infusion verabreicht erhält. In der Untersuchung wurde deutlich, dass die meisten Patienten als Darreichungsform eine Infusion von bis zu dreimal pro Jahr bevorzugen. Hierbei ist aber auch die Krankheitsdauer entscheidend: Patienten, deren Diagnose mehr als zehn Jahre zurücklag, favorisieren Tabletten und eine Infusion von bis zu dreimal im Jahr gleichermaßen. Patienten, die weniger als zehn Jahre mit der Diagnose MS leben, bevorzugen dagegen klar die Infusion. Auch das Intervall zwischen den Anwendungen ist ein wichtiges Kriterium.

Wirkt sich Ihrer Erfahrung nach die Art der Anwendung auf die Therapieadhärenz aus?

Darüber sagt die Untersuchung nichts aus. Doch bekannt ist: Lediglich 50 Prozent der Patienten nehmen ihre Tabletten so, wie es ihnen der Arzt vorschlägt – über alle Krankheiten hinweg. Orale Therapien haben eine wesentlich schlechtere Adhärenz als beispielsweise Infusionstherapien, bei denen der Patient alle vier oder sechs Wochen beziehungsweise alle sechs Monate den Arzt aufsuchen muss, um dort die Therapie zu erhalten. Dazu kommt, dass es einen Unterschied macht, ob ich mir mein Medikament täglich spritzen muss. Das ist immer nochmal schlechter, als wenn ich jeden Tag eine Pille schlucken muss. Einfach weil das Spritzen an sich unangenehmer ist. Wobei es da keinen echten Unterschied gibt, was die Therapietreue betrifft.

Stichwort „Nebenwirkungen einer Therapie“ – welche Einstellungen hatten die befragten Patienten dazu?

Grundsätzlich ist ein relativ hoher Prozentsatz der Patienten mit der aktuellen Therapie zufrieden. Eine Erkenntnis lautet: Patienten mit älteren Therapien, die bereits seit Längerem zugelassen sind und oral oder per Spritze verabreicht werden, sind etwas unzufriedener. Doch das hängt sehr wahrscheinlich einfach mit der geringeren Effektivität dieser Therapien zusammen. Je nachdem, wie krank die Betroffenen sind, wären sie bereit, auch Nebenwirkungen zu akzeptieren. Das hat mich überrascht, weil ich in der Praxis sehr viel damit beschäftigt bin, weniger über die Wirksamkeit als über mögliche Nebenwirkungen zu diskutieren.

Darüber hinaus möchten die Patienten lieber eine Medikation mit relativ milden, aber häufigen Nebenwirkungen als eine mit seltenen, aber sehr schweren. Nach dem Motto: „Ich nehme lieber in Kauf, dass ich alle zwei, drei Tage ein bisschen grippeartige Nebenwirkungen habe, als das seltene Risiko, dass eine schwerwiegende Nebenwirkung auftritt.“ Das gilt es dann bei der Therapieempfehlung miteinzubeziehen.

Was kann den Patienten bei der Therapieentscheidung helfen, sich der eigenen Bedürfnisse klar zu werden?

Das Gespräch mit dem Arzt oder einer erfahrenen MS-Schwester, auf das sich die Patienten unbedingt vorbereiten sollten – am besten mit vorher notierten Fragen. Während des Gesprächs versuchen wir herauszufinden, welches Schema zur Lebenssituation und Persönlichkeit des Patienten passt. Dabei spielen folgende Aspekte eine Rolle: Ist er berufstätig, reist er viel? Bei einer hohen Reiseaktivität ist es umständlich, wenn der Patient Spritzenpakete mit sich führen muss. Ist er viel unterwegs, kann er außerdem keine regelmäßigen Kontrollen durchführen lassen. Damit fallen wiederum bestimmte Tablettenschemata weg. Ein weiterer Aspekt, den es zu berücksichtigen gilt: Kann es sich der Patient leisten, sich beispielsweise für eine Infusion regelmäßig freizunehmen?

Natürlich habe auch ich eine Vorstellung davon, was ich unter medizinischen Gesichtspunkten favorisieren würde – zum Beispiel was die Schubhäufigkeit oder die aktuelle Behinderung angeht. Doch es macht nur Sinn, wenn die entsprechende Therapie in die jeweilige Lebenssituation passt.

Individuelle Entscheidung

Du siehst, Therapiewahl bei MS ist ein sehr individuelles Thema und für jeden Menschen mit MS können andere Faktoren entscheidend sein. Wenn auch Du Dich damit beschäftigst, findest Du in dieser Tabelle einen Überblick über die aktuellen verlaufsmodifizierenden Therapien.

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