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medikamentöse Therapie

Nachgefragt: B-Zell-Therapie bei MS

10 Minuten

Veröffentlicht am 01.07.2022  von  trotz ms Redaktion

Seit der Verfügbarkeit vor einigen Jahren wendet der Neurologe Dr. Klaus Gehring bei seinen MS-Patientinnen und Patienten auch die B-Zell-Therapie an. Im Interview erklärt er das Wirkprinzip und berichtet von seinen Erfahrungen zu Wirksamkeit, Sicherheit und Therapietreue.

Dr. Klaus Gehring ist Facharzt für Neurologie sowie für Psychiatrie und Psychotherapie im Neurozentrum am Klosterforst in Itzehoe. Hier betreut er mehr als 1.000 Menschen mit MS, von denen über 70 eine B-Zell-Therapie erhalten.

Wie sind Ihre Erfahrungen mit der B-Zell-Therapie bei MS bezüglich Wirksamkeit, Sicherheit und Adhärenz?

Die Patienten, die in unserer Praxis die B-Zell-Therapie erhalten, die als Infusion verabreicht wird, bleiben bei der Therapie und sind durchweg stabil. Das heißt, unsere Patienten mit schubförmiger MS sind bisher schubfrei. Auch bei unseren Patienten mit aktiver PPMS können wir eine Stabilität der Erkrankung erreichen. Alle unsere Patienten mit dieser B-Zell-Therapie sind der Therapie treu und halten die empfohlenen Infusions-Intervalle ein – die Adhärenz liegt also bei 100 Prozent.

Diese B-Zell-Therapie wird von unseren Patienten sehr gut vertragen und wir haben bei keinem unserer Patienten relevante Nebenwirkungen beobachtet. Aus der Erfahrung von anderen Erkrankungen wissen wir, dass eine B-Zell-Therapie zu einem Antikörper-Mangel und damit zu einer erhöhten Infektanfälligkeit führen kann. Bei unseren Patienten haben wir das aber bisher nicht beobachtet.

Wie sind Ihre Erfahrungen bezüglich der Immunität unter der B-Zell-Therapie? Was empfehlen Sie MS-Patientinnen und -Patienten?

Man kann mutmaßen, dass Patienten mit einer B-Zell-Therapie ein höheres Risiko gegenüber Infektionskrankheiten haben. Das sehen wir bei unseren Patienten nicht – auch nicht während der laufenden COVID-19-Pandemie. Eine großangelegte Studie hat aktuell auch gezeigt, dass nicht die Therapieform das Risiko an COVID-19 zu erkranken erhöht, sondern Beeinträchtigungen durch die MS wie eine eingeschränkte Mobilität oder Atemmuskulatur.

Dennoch empfehlen wir unseren Patienten, sich in den ersten zwei Wochen nach der Verabreichung der B-Zell-Therapie etwas kontaktfern zu verhalten, um das Risiko für mögliche Infektionen zu verringern. Zudem empfehlen wir unseren MS-Patienten – unabhängig von der Therapie – die Impfung gegen Influenza und COVID-19 sowie bei Patienten ab etwa 50 Jahren die Meningokokken-Impfung.

Du möchtest wissen, was anderen Betroffenen bei ihrer Therapiewahl wichtig ist? Dann erfahre hier mehr zu den Ergebnissen einer internationalen Umfrage.

Was bedeutet die B-Zell-Therapie für die Behandlung der MS?

Mit der B-Zell-Therapie können wir die Produktion der entzündungsauslösenden Antikörper vermindern. Damit haben wir die Chance, in die Erkrankung einzugreifen und die Krankheitsaktivität der MS zu reduzieren. Wir wissen mittlerweile, dass die Hauptentzündungsaktivität zu Beginn der MS stattfindet. In dieser Phase können wir mit der Therapie besonders viel erreichen. Im späteren Krankheitsverlauf wird das schwieriger. Das gilt insbesondere auch bei der PPMS, für deren Behandlung mit der B-Zell-Therapie erstmals eine zugelassene Therapie zur Verfügung steht. Deshalb gilt bei MS, möglichst früh mit der Therapie zu starten. Denn jede Entzündungsaktivität – ob während eines Schubs oder schubunabhängig – kann zu weiteren bleibenden Schäden in Gehirn oder Rückenmark führen.

Was genau sind B-Zellen? Und welche Rolle spielen sie im Krankheitsgeschehen der MS?

B-Zellen gehören – wie die T-Zellen – zu den sogenannten Lymphozyten und sind ein wichtiger Bestandteil des Immunsystems. Das besondere an B-Zellen ist, dass sie als einzige Zellen unseres Körpers Antikörper produzieren können. Normalerweise dienen diese Antikörper der Abwehr von schädlichen Stoffen oder Krankheitserregern wie Viren oder Bakterien.

Bei Autoimmunerkrankungen wie der MS bilden die B-Zellen jedoch fälschlicherweise Antikörper, die sich gegen den eigenen Körper richten. Diese sogenannten Autoantikörper entstehen in der Peripherie, das heißt, außerhalb des zentralen Nervensystems. Über die Blut-Hirn-Schranke gelangen diese Antikörper aber in Gehirn und Rückenmark und lösen hier die MS-typischen Entzündungen aus. Das führt zum Abbau der Myelinscheiden, der schützenden Ummantelung der Nervenfasern.

Lange ging die Wissenschaft davon aus, dass vor allem T-Zellen an den Entzündungen beteiligt sind. Heute wissen wir, dass der MS ein Wechselspiel aus T- und B-Zellen zugrunde liegt und B-Zellen eine entscheidende Rolle im Krankheitsgeschehen spielen. Aufgrund dieser Erkenntnis gibt es mittlerweile MS-Therapien, die gezielt bestimmte B-Zellen aus dem Körper entfernen.

Wie funktioniert die B-Zell-Therapie bei MS? Und wie unterscheidet sie sich von anderen MS-Therapien?

Bei der B-Zell-Therapie kommt ein sogenannter monoklonaler Antikörper zum Einsatz, der die B-Zellen aus dem Körper entfernt, die bei MS die entzündungsfördernden Antikörper bilden. Dadurch kann sich die induzierte Entzündung nicht weiter ausbreiten und die Krankheitsaktivität wird eingedämmt. Die B-Zell-Therapie wirkt damit zielgenau auf die Zellen, die wesentlich am Krankheitsgeschehen der MS beteiligt sind.

Wie werden B-Zell-Therapien bei MS verabreicht? Gibt es dabei Unterschiede? Und was kann sich daraus für Ihre Patientinnen und Patienten ergeben?

Mittlerweile stehen zwei zugelassene B-Zell-Therapien* zur Behandlung der MS zur Verfügung. Diese unterscheiden sich unter anderem in der Art und Häufigkeit der Anwendung. Während eines der Medikamente etwa alle sechs Monate per Infusion verabreicht werden, erfolgt die Anwendung des anderen alle vier Wochen als Injektion unter die Haut.

Für den Patienten kann die Darreichungsform schon Unterschiede machen. So wissen wir von anderen per Selbstinjektion verabreichten Therapien, dass diese nicht immer regelmäßig wie verordnet von den Patienten angewendet werden. Das kann natürlich die Wirksamkeit beeinflussen. Bei einer Infusion kommen die Patienten in die Praxis und wir haben eine gute Kontrolle über die Adhärenz.

Nicht zu unterschätzen ist auch der psychologische Faktor: Wir versuchen, unsere Patienten nicht ständig auf die MS zu reduzieren, sondern ihnen Perspektiven auf einen ganz normalen Alltag zu bieten. Da macht es natürlich einen Unterschied, ob der Patient ein applikationsfreies Intervall von sechs Monaten hat oder sich alle vier Wochen seiner Therapie unterziehen muss.

*Die Inhalte dieses Interviews sind vom Stand 07/2022. Gemäß Stand 02/2024 gibt es mittlerweile drei zugelassene B-Zell-Therapien.

Inhaltlich geprüft: M-DE-00020180

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