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Grundlagen

Nachgefragt: Die richtige MS-Therapie ist für jeden unterschiedlich

11 Minuten

Veröffentlicht am 10.11.2020  von  trotz ms Redaktion

Jeder Mensch mit MS hat seine ganz persönlichen Wünsche und Vorstellungen in puncto Therapie. Diese können sehr vielfältig sein und gehen mit der aktuellen Lebenssituation einher. Und genau diese Aspekte müssen bei einer patientenbezogenen Therapieentscheidung noch mehr zum Tragen kommen. So lautet für Patientenvertreterin Birgit Bauer die Quintessenz einer internationalen Untersuchung zu den Therapiepräferenzen mit 485 MS-Patienten. Im Interview beantwortet Birgit die wichtigsten Fragen zur Untersuchung, bei der sie im Lenkungsausschuss (Steering Commitee) mitgewirkt hat.

Birgit Bauer ist Digital Health & Social Media Expertin, Speaker and Journalistin. Im Jahr 2005 hat sie die Diagnose MS erhalten. Außerdem hält Birgit Vorträge und Workshops zu den Themen „Digitale Gesundheit“, Social Media, Bedürfnisse von Patienten und Kommunikation bei internationalen Veranstaltungen. Als Patientenvertreterin, auch Patient Advocate genannt, setzt sie sich für die Interessen von Menschen mit MS ein. Birgit ist auf Instagramund Twitter vertreten und zählt zu den bekanntesten Bloggerinnen der europäischen MS-Community. Birgit lebt in der Nähe von Regensburg, ist verheiratet und strickt gerne.

Liebe Birgit, was hat Dich dazu motiviert, bei der Patientenpräferenz-Untersuchung mitzuwirken und wie lief das Ganze ab?

Ich fand die Fragestellung spannend. Es ging darum herauszufinden, was die Vorlieben von Menschen mit MS bei der Therapiewahl sind: Auf was legen Menschen mit MS Wert, wenn sie auf der Suche nach einer Therapie sind? Mich hat einfach interessiert, zu welchen Ergebnissen die Untersuchung kommt. Außerdem arbeite ich gerne mit Daten. In meinem Job als Digital Health & Social Media Expertin, Speaker and Journalistin befasse ich mich ebenfalls damit. Als Teil des Steering Commitees entwickelte ich die Themen mit, die genauer beleuchtet werden sollten. Auch bei der Konzeption der Fragebögen war ich beteiligt, welche die Teilnehmer online beantworteten. Nachdem die Daten ausgewertet waren, habe ich dabei unterstützt zu ermitteln, welche Rückschlüsse sich aus den Ergebnissen ziehen lassen.

Könntest Du die aus Deiner Sicht wichtigsten Ergebnisse der Studie mit eigenen Worten wiedergeben?

Für mich zeigt die Studie, dass durch die Bank unterschiedliche Präferenzen bestehen und die Therapiewahl immer eine sehr individuelle Entscheidung ist. Wesentliche Aspekte sind das Alter, persönliche Vorlieben und die Erkrankungsdauer: Menschen, die länger (mehr als zehn Jahre) mit MS leben, haben andere Präferenzen als die, die erst seit Kurzem mit der Diagnose leben. Letztere bevorzugen Infusionen von bis zu drei Mal pro Jahr. Die langjährigen Patienten wünschen sich eher eine Tablette.

Die Ergebnisse der Untersuchung machen außerdem deutlich, dass Menschen mit MS oft bereit sind, milde Nebenwirkungen in Kauf zu nehmen, wenn die Sicherheit und die Zuverlässigkeit, also die Effizienz von einem Medikament in einem gewissen Grad gegeben ist und dazu bereits Erfahrungswerte vorliegen. Darüber hinaus zeichnet sich ab, dass eine patientenbezogene Entscheidung immer wichtiger wird.

Experten sprechen hierbei auch von Shared Decision Making. Dabei besprechen und entscheiden Patienten mit ihren Ärzten, welches Medikament genommen wird. Ziel ist es, gemeinsam eine Entscheidung zu treffen, die von beiden getragen wird und mit der die Patienten gut leben können. Das ist nicht überraschend, denn seit Jahren kommt das Thema der patientenzentrierten Behandlung in Vorträgen und Diskussionen zur Sprache. Eine Behandlung, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht, ist einfach das Allerwichtigste. Die Rolle von Menschen mit einer Erkrankung hat sich ja signifikant verändert. Die Zeiten sind vorbei, in denen Ärzte ein Medikament bestimmen und das ist es dann. Inzwischen beginnen die Menschen sich zu informieren und darüber nachzudenken, was für sie wichtig ist. Sie setzen ihre Prioritäten anders und dementsprechend muss die Medikation angepasst sein.

Welche Aspekte spielen bei der Therapieentscheidung eine wichtige Rolle?

Das ist bei jedem unterschiedlich. Wichtige Kriterien sind die Lebensqualität und der Alltag – wie etwa der Beruf und das Familienleben. Der eine ist vielleicht häufig unterwegs und braucht ein Medikament, mit dem er viel reisen kann – so wie ich im Normalfall, wenn nicht gerade eine Pandemie ist und wir nicht reisen können. Wenn ich mir dann irgendwo unterwegs eine Spritze verabreichen müsste, hätte ich schon ein großes Problem. Ich müsste ja alles immer mit mir herumtragen und die Security-Kontrolle am Flughafen würde mehr Zeit beanspruchen.

Manch einer hat vielleicht sogar eine Nadelphobie und kann sich keine Spritzen verabreichen. Dann wird er sich wahrscheinlich eher für Tabletten entscheiden. Für andere wiederum ist es völlig unproblematisch, sich seit Jahren täglich eine Spritze zu verabreichen. Wer einen stressigen Alltag hat und von Termin zu Termin hetzt, für den sind Tabletten unpraktisch, denn in der Hektik wird die tägliche Einnahme schon einmal leicht vergessen. Dann ist vielleicht die Infusion angebrachter. Da ist alle vier Wochen oder sogar nur alle sechs Monate ein Tag Auszeit erforderlich, was sich langfristig im Voraus organisieren lässt und dann läuft das. Andere wollen nicht jeden Tag über ihre MS nachdenken und verbinden die Therapie mit einem Besuch beim Neurologen, der dann das Medikament verabreicht. Das ist vielleicht auch eine Möglichkeit, ein Stück Abstand zu gewinnen.

Was hilft Patienten bei der Therapieentscheidung?

Sich umfassend zu informieren, denn eine Therapie ist ja immer ein Eingriff in die Gesundheit und ins tägliche Leben. Zuverlässige Informationsquellen sind beispielsweise Patientenorganisationen, der behandelnde Neurologe oder soziale Plattformen wie Facebook, Instagram und Twitter, wo sich Menschen mit MS vernetzen und voneinander lernen. Mittlerweile tauscht die MS-Community dort auch wertvolle Links aus. Die Cochrane Library bietet beispielsweise fundierte Informationen. In den Medien können Interessierte auch nach den neurologischen Kongressen recherchieren. Die finden meist im Frühjahr oder Herbst statt. Dort suchen viele Patienten gezielt nach den neuesten Informationen. Auch auf den Seiten des Bundesgesundheitsministeriums ist häufig Wissenswertes zu finden.

Welche Tipps kannst Du anderen Betroffenen geben, damit sie selbst zu mündigen Patienten werden und ihren Ärzten ihre Präferenzen deutlich machen können?

Menschen mit MS müssen manchmal auch proaktiv handeln, anstatt sich immer nur auf die Ärzte zu verlassen. Wie schon erwähnt, ist es wichtig, sich zu informieren, um als mündiger Patient auftreten zu können. Außerdem kann es hilfreich sein, sich seine Prioritäten bewusst zu machen und diese schriftlich aufzulisten – ausgehend von der Frage: „Was ist mir wichtig?“ Diese Liste nehme ich zu meinem nächsten Neurologentermin mit und merke an, dass ich Gesprächsbedarf habe. Das muss weder besonders energisch noch aggressiv sein. Dann schildere ich dem Arzt meine Prioritäten und was es in meinem Alltag zu berücksichtigen gibt – zum Beispiel, dass ich zweifache Mutter bin und mich um ein Schulkind und ein Baby kümmern muss. Oder ich lege dar, warum ich nicht zufrieden mit meiner Therapie bin. Dann kann der Arzt darauf Rücksicht nehmen.

Individuelle Entscheidung

Du siehst, Therapiewahl bei MS ist ein sehr individuelles Thema und für jeden Menschen mit MS können andere Faktoren entscheidend sein. Wenn auch Du Dich damit beschäftigst, findest Du in folgender Tabelle einen Überblick über die aktuellen verlaufsmodifizierenden Therapien.

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