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Grundlagen

Nachgefragt: Shared Decision Making bei MS

7 Minuten

Veröffentlicht am 09.03.2021  von  trotz ms Redaktion

Dr. Klarissa Stürner ist Neurologin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel. Im Interview beantwortet sie fünf Fragen zu „Shared Decision Making“, kurz SDM und erklärt, weshalb besonders Menschen mit MS davon profitieren können, sich aktiv an ihren Therapieentscheidungen zu beteiligen.

Als Fachärztin für Neurologie praktiziert Dr. Klarissa Stürner seit über zehn Jahren „Shared Decision Making“ bei ihren Patientengesprächen. Mit klinischen Schwerpunkten auf Multiple Sklerose und neuroimmunologischen Erkrankungen ist Dr. Stürner Oberärztin der neuroimmunologischen Ambulanz und hat die Leitung der neurologischen Tagesklinik inne.

Liebe Frau Dr. Stürner, was bedeutet „Shared Decision Making“?

Shared Decision Making lässt sich mit „partizipativer Entscheidungsfindung“ übersetzen. Dabei beziehen wir Ärzte die Patienten aktiv mit in den Entscheidungsprozess ein. Im Gegensatz dazu steht das alte hierarchische Bild, indem der Arzt vorgibt, was gemacht wird. Bei SDM nimmt sich der Arzt selbst etwas zurück und fordert seine Patienten auf, sich in der Therapieentscheidung aktiv mit einzubringen. Dadurch rücken die Bedürfnisse der Patienten viel stärker in den Vordergrund.

Wie läuft SDM in der Praxis ab?

Manchmal sind Patienten zuerst etwas irritiert. Besonders ältere Menschen sind es häufig nicht gewohnt, in den Entscheidungsprozess miteinbezogen zu werden. Zuerst erkläre ich meinen Patienten, was genau der Grund für unser Gespräch ist: Worum geht es heute und was ist das Ziel? Danach besprechen wir, welche Behandlungsoptionen es gibt. Und ganz wichtig: auch die Option, erst einmal nichts zu tun und abzuwarten. Wir sprechen auch über die jeweiligen Vor- und Nachteile. Hier verläuft ein Gespräch sehr individuell, da für jeden Patienten andere Aspekte einer Therapie wichtig sind. Wie ein Patient die Behandlungsoptionen gewichtet, kann dabei auch ganz anders sein, als wir Behandler es vielleicht tun würden.

Viele Menschen sind vor einem Arztgespräch aufgeregt. Das strukturierte Gespräch sorgt für Ruhe, sodass sich Patienten besser auf den Inhalt konzentrieren können und mehr aus dem Gespräch mitnehmen.

Inwieweit können gerade Menschen mit MS von SDM profitieren?

Die Zufriedenheit mit einer Behandlung ist meiner Erfahrung nach deutlich höher, weil die Erwartungen der Patienten realistisch sind. Wenn ein Patient eine Therapieentscheidung trifft, die ich selbst vielleicht nicht getroffen hätte, und dann merke, wie zufrieden er damit ist, macht mich das besonders stolz. Beteiligt sich ein Patient aktiv an seiner Therapieentscheidung, geht er anders mit der Entscheidung um. Das zeigt sich etwa in der Therapietreue. Die Patienten beschäftigen sich zum Beispiel intensiver mit den möglichen Nebenwirkungen einer Therapie. Wenn Nebenwirkungen auftreten, können sie besser damit umgehen. Dadurch kommt es seltener zum Therapieabbruch.

Manchmal trauen sich Patienten nicht zu sagen, dass sie zum Beispiel ihre Tabletten nicht regelmäßig nehmen. In diesen Fällen ist die Entscheidung oft nicht gemeinsam getroffen worden oder der Patient hatte nicht die Ruhe, sich über seine Präferenzen klar zu werden. Durch die intensive Auseinandersetzung mit den Optionen bei SDM suchen sich Patienten die Therapie aus, die sie am passendsten finden. Das erleichtert auch die Therapietreue. MS ist mit Kontrollverlust verbunden. Durch SDM bekommen MS-Patienten wieder etwas Kontrolle zurück und entscheiden selbstbestimmt. Wir sehen, dass diese Patienten sicherer mit ihrer Erkrankung umgehen.

Wie können sich MS-Patienten auf die gemeinsame Entscheidungsfindung vorbereiten?

Die Therapien bei MS sind zahlreich und komplex. Daher bereiten wir unsere Patienten oft auf ein Gespräch vor. Sie bekommen Materialien zum Lesen. Damit können sie sich vorbereiten, es ist jedoch kein Muss. Wir können alles gemeinsam besprechen. Nach so einem Gespräch kann es auch sein, dass wir einen neuen Termin ausmachen, bei dem wir die Entscheidung treffen. So kann der Patient noch einmal ein paar Nächte darüber schlafen und dann eine Entscheidung treffen, hinter der er auch voll und ganz steht.

Wichtig ist, auch zu wissen, dass wir die partizipative Entscheidungsfindung wiederholen können. Etwa wenn eine Therapie nicht gut funktioniert. Es ist keine Einbahnstraße. Wir können die Behandlung verändern und einen anderen Weg einschlagen.

Was kann ein Patient tun, wenn sein Arzt ihn an der Therapieentscheidung nicht teilhaben lässt? Haben Sie Tipps für eine gelungene Kommunikation?

Patienten können freundlich, aber bestimmt eine gemeinsame Entscheidungsfindung einfordern. Im Arztgespräch dürfen Patienten ruhig selbstbewusst auftreten und ihre Fragen und Wünsche klar formulieren.

Hier findest Du eine Übersicht aller aktuellen MS-Therapien. Informiere Dich und frag Deinen Neurologen nach geeigneten Therapieoptionen!

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