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Veröffentlicht am 20.06.2024 von trotz ms Redaktion
Mittlerweile stehen viele MS-Therapien zur Verfügung – von moderat wirksamen zu hochwirksamen MS-Medikamenten. Aber womit sollte die Behandlung beginnen? Daten aus der alltäglichen Praxis legen nahe, dass eine hochwirksame Therapie direkt ab MS-Diagnose bessere Behandlungserfolge erzielt.
In den letzten Jahren hat sich das Verständnis für die Progression der MS deutlich weiterentwickelt – und damit auch die Herangehensweise an die Behandlung der MS. Während früher die Schübe im Fokus standen, weiß man heute, dass die MS vor allem unabhängig von Schüben fortschreitet – und das bei allen MS-Verlaufsformen.1 Eine weitere wichtige Erkenntnis: Bereits zu Beginn der Erkrankung kann ein fortschreitender Verlust von Hirngewebe (Hirnatrophie) stattfinden. Aufgrund der Fähigkeit des Gehirns, Schäden bis zu einem gewissen Grad zu kompensieren (neurologische Reserve), bemerkst Du diesen Verlust zunächst nicht. Aber bereits früh im Erkrankungsverlauf können die Schäden im Gehirn die Mobilität und kognitive Leistungsfähigkeit sowie die Lebensqualität dauerhaft beeinträchtigen.2 Die Initiative „Brain health – Time matters in multiple sclerosis” setzt sich daher schon länger für eine möglichst frühe Diagnose und frühzeitige Therapie der MS ein, um Schübe zu verhindern, die schubunabhängige Progression zu bremsen und das Hirnvolumen zu schützen – und somit die Lebensqualität zu erhalten.2 Expertinnen und Experten sprechen sich auch dafür aus, direkt ab Diagnose mit einer hochwirksamen Therapie zu beginnen. Aber wie unterscheiden sich die Therapiestrategien bei MS eigentlich?
Seit Einführung der ersten hochwirksamen MS-Medikamente stellt sich die medizinische Fachwelt die Frage, ob eine frühe intensive Therapie den MS-Verlauf positiver beeinflussen kann. Denn neben der Art und Häufigkeit der Anwendung unterscheiden sich MS-Therapien auch in ihrer Wirkweise. So gibt es moderat wirksame und hochwirksame MS-Medikamente. Früher haben Betroffene häufig zunächst ein moderat wirksames Medikament erhalten. Bei dieser konservativen Therapiestrategie wird die Therapie erst angepasst, wenn die MS unter diesem moderat wirksamen Medikament fortschreitet.3 Das birgt jedoch das Risiko, dass wertvolle Zeit verstreicht, in der die MS weiter im Stillen durch die schleichende Progression fortschreitet. Erfolgt die Behandlung dann zu spät, fallen die Behandlungsergebnisse langfristig schlechter aus.3-8 Heutzutage verfolgen viele Expertinnen und Experten daher die „Hit hard and early“-Strategie, d. h. den frühen Einsatz von einer hochwirksamen Therapie direkt nach Diagnose.4
Die Frage nach der richtigen Behandlungsstrategie bei MS ist nicht endgültig beantwortet. Aber immer mehr Studien deuten darauf hin, dass der Einsatz einer hochwirksamen Therapie von Anfang an das Fortschreiten der MS stärker verlangsamen kann als ein späterer Einsatz. Das führt dazu, dass mittlerweile ein Umdenken bei der MS-Therapiestrategie stattfindet.
Verschiedene Forschungsgruppen haben sich der Frage angenommen, welche Behandlungsstrategie bei MS die besseren Erfolge erzielen kann. Gemeinsam ist den Studien, dass sie Daten aus nationalen MS-Registern ausgewertet haben. Diese sogenannten Real-World-Daten spiegeln die Langzeiterfahrungen mit MS-Therapien im Behandlungsalltag vieler Betroffener wider.
Eine Auswertung des britischen MS-Registers umfasste rund 600 MS-Betroffene, die zur Erstbehandlung entweder ein moderat wirksames oder ein hochwirksames MS-Medikament erhielten. Die Zunahme der Beeinträchtigungen über fünf Jahre war mit einer hochwirksamen Therapie direkt ab Beginn deutlich geringer als mit einem moderat wirksamen MS-Medikament.5
In einer weiteren Studie verglichen Forschende die Daten aus dem schwedischen mit dem dänischen MS-Register. Das Besondere: Beide Länder verfolgen unterschiedliche nationale Strategien zur MS-Behandlung. Während in Dänemark eher die konservative Therapiestrategie angewendet wird, erhalten Betroffene in Schweden häufiger von Anfang an eine hochwirksame MS-Therapie direkt nach der Diagnose. Ausgewertet wurden die Daten von insgesamt fast 5.000 MS-Betroffenen.
Die Auswertung ergab, dass die schwedische Behandlungsstrategie, früh mit einer hochwirksamen MS-Therapie zu starten, langfristig mit einer deutlich geringeren Zunahme der Beeinträchtigungen einherging als die dänische. Die dänischen MS-Patientinnen und Patienten erreichten früher höhere Werte auf der Expanded Disability Status Scale (EDSS) – also einen höheren Grad der Beeinträchtigungen. Zudem wechselten die Betroffenen in Dänemark häufiger ihre MS-Therapie, hauptsächlich aufgrund von mangelnder Wirksamkeit und Nebenwirkungen.6
Auch eine Auswertung des italienischen MS-Registers gibt erneut Hinweise darauf, dass eine frühe Therapie mit hochwirksamen Medikamenten das Fortschreiten der MS stärker bremst als ein Start mit einer moderat wirksamen Therapie. Die Forschenden verglichen die Daten von 730 MS-Patientinnen und Patienten. Die eine Hälfte erhielt als erste MS-Therapie ein hochwirksames Medikament, die andere Hälfte wurde entsprechend mit einem moderat wirksamen Medikament behandelt. Diese wechselten im Durchschnitt nach fünf Jahren auf eine hochwirksame Therapie. Auch hier ergab die Auswertung der Daten, dass sich der Behinderungsgrad der MS-Betroffenen mit einer moderat wirksamen Therapie deutlich schneller verschlechterte als bei den MS-Betroffenen, die frühzeitig mit einer hochwirksamen Therapie gestartet sind.7
Die Ergebnisse der Studien, die für einen frühen Einsatz von hochwirksamen MS-Therapien sprechen, wurden jüngst auch durch eine Meta-Analyse untermauert. Zudem konnte die Analyse zeigen, dass das Sicherheitsprofil bei beiden Therapieansätzen gleich ist. Die Meta-Analyse wertete insgesamt sieben Studien aus, die beide Behandlungsstrategien über einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren verglichen.8
Nimm Dein Leben in die Hand, besprich Deine Therapieoptionen mit Deinem Behandlungsteam , so dass Deine MS-Therapie zu Dir und Deinen Erwartungen passt. Eine Übersicht aller aktuellen MS-Therapien findest Du hier.
Inhaltlich geprüft: M-DE-00021723
*Quellen:
1. Tur et al. JAMA Neurol. 2023;80:151.
2. Brain Health – Keine Zeit verlieren bei MS
3. He A et al. Lancet Neurol. 2020;19:307.
4. Giovannoni G. Oral Presentation O007. ECTRIMS 2022.
5. Harding K et al. JAMA Neurol. 2019;76:536.
6. Spelman T et al. JAMA Neurol. 2021;78:1197.
7. Iaffaldano P et al. Ther Adv Neurol Disord. 2021;14:17562864211019574.
8. Pipek L et al. Poster Presentation P14.009. AAN 2023.
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