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Bewegung & Kognition

Nachgefragt: Mit PPMS bei den Paralympischen Spielen

11 Minuten

Veröffentlicht am 09.03.2022  von  trotz ms Redaktion

Heidemarie Dresing hat sich 2021 einen großen Traum erfüllt und als Dressurreiterin an den Paralympischen Sommerspielen teilgenommen. Welche Rolle die MS in ihrem Alltag und bei ihrem Sport spielt, erzählt sie im Interview.

Mit 66 Jahren nimmt Heidemarie Dresing 2021 erstmals an den Paralympischen Sommerspielen teil. Als älteste deutsche Teilnehmerin geht sie in Tokio an den Start. Die ehrgeizige Dressurreiterin misst sich schon ihr Leben lang bei Turnieren. Von ihrer PPMS-Diagnose lässt sie sich dabei nicht unterkriegen, sondern möchte anderen Betroffenen Mut machen. Die Herausforderungen des Alltags meistert sie gut geplant und sucht immer wieder neue Lösungen und Wege, über sich hinauszuwachsen.

Liebe Frau Dresing, seit wann leben Sie mit der Diagnose „MS“ und was hilft Ihnen, den eigenen Weg zum Umgang damit zu finden?

Mein Weg bis zur Diagnose war weit. Da bin ich schon an Grenzen geraten. Vor mehr als zehn Jahren stand „MS“ dann zum ersten Mal im Raum. Aber sobald man davon weiß, kann man auch etwas dagegen unternehmen. Jetzt versuche ich, das Beste daraus zu machen. Mit der Liquoruntersuchung stand auch fest, dass es bei mir die schleichende Form der MS, also PPMS, ist. Schübe habe ich wohl nie gehabt – bewusst ist es mir zumindest nicht, obwohl ich versucht habe, den zurückliegenden Verlauf aufzuarbeiten und mich zu erinnern. Ich könnte mir vorstellen, dass man erst einmal fix und fertig ist, sobald man einen Schub hat. Bei mir kommt es hingegen langsam. So kann ich mich meinen immer mehr werdenden Einschränkungen anpassen. Schon wenn ich mich morgens im Bett umdrehe, ist es ja anders, als wenn ich gesund wäre. Die MS ist nie weg. Aber man wird erfinderisch und findet heraus, wie dann doch noch irgendwie alles geht. Meine positive Lebenseinstellung hilft mir dabei. Ich mache mir für alles einen Plan und dann sind die Einschränkungen auch nicht so groß. Ich spare zum Beispiel Strecken, indem ich mir vorher schon überlege: Was kannst Du wo mitnehmen oder schon mal erledigen? „Ertragen“ klingt für mich zu negativ – vielmehr kann ich gut damit leben.

Wie ist es dazu gekommen, dass Sie mit dem Parasport angefangen haben?

Ich habe immer schon geritten – und auch ganz gut geritten – im ländlichen Dressursport. Mein damaliger Mann und ich haben gemeinsam eine Pferdezucht betrieben. Ich habe die Pferde ausgebildet und auf Turnieren vorgestellt, um den Wert zu steigern und sie auch vermarktet. Damals hat sich Hanne Brenner auf eine Annonce bei mir gemeldet. Hanne Brenner ist mehrfache Deutsche Meisterin, Europameisterin, Olympiasiegerin und Weltmeisterin im Paradressursport – die erfolgreichste deutsche Paradressurreiterin aller Zeiten. Dadurch wusste ich erst, dass es Paradressursport überhaupt gibt. Ich habe aber wirklich lange mit mir gehadert, mich weiter zu informieren, denn ich hatte mir Reiter mit Handicap immer anders vorgestellt. Beim ersten Turnier, bei dem ich mitgemacht habe, sind 18 Leute gestartet und ich bin 16te geworden. Ich bin noch nie so fertig gewesen, weil ich ja sonst immer ganz gut war, aber da kam es auf ganz andere Dinge an. „Das hast du toll gemacht!“, haben mir alle gesagt. Ich habe mich allerdings so geschämt, dass ich am dritten Tag gar nicht mehr antreten, sondern sofort abreisen wollte. Aber ich hatte damals auch ein Pferd, das für mein Handicap einfach das falsche war. Kurz darauf habe ich mir ein passendes Pferd gekauft. Das habe ich auch immer noch und bin damit ganz erfolgreich im Parasport. So ist das entstanden – eigentlich ganz einfach. Aber ich konnte am Anfang nicht ahnen, wie das alles zusammenhängt.

Wann haben Sie zum ersten Mal daran gedacht, an den Paralympischen Spielen teilzunehmen und was ist Ihnen dabei durch den Kopf gegangen?

Als ich vor einigen Jahren bei meinem ersten internationalen Turnier geritten bin, hat mich die Equipe Chefin nach meinen Zielen gefragt. Meine Antwort war: „Darüber habe ich mir schon ganz genau Gedanken gemacht: Tokio!“ Ich habe nicht nur an diesen Wunsch geglaubt – sondern ich war sogar davon überzeugt. Ich hatte vor meiner Teilnahme aber natürlich ein paar Bedenken, habe mich selbst gefragt: „Schaffst Du das? Wie schlimm ist das mit der Hitze? Kannst Du das noch?“ Früher war ich da gerade erst auf Betriebstemperatur. Das hat mir nie was ausgemacht, aber ich wusste nicht, wie das mit meiner MS werden würde. Die Hitze vor Ort – 45 Grad – hat mir zu schaffen gemacht, als wir mal in der Mittagshitze im Stadion waren. Das war schon heftig. Mein Behandlungsteam und ich haben vorab getestet und absegnen lassen, was für Medikamente ich gegen meine Erkrankung und Symptome wie meine Fatigue nehmen kann und gut vertrage, damit ich dann in Tokio nicht unter der Hitze vielleicht gar keine Leistung bringen kann.

Wie schaffen Sie es, sich zu Spitzenleistungen zu motivieren? Und wie gehen Sie damit um, wenn Sie mal eine schwierige Phase durchleben?

Das ist mein Ehrgeiz. Ich muss mich aber natürlich manchmal motivieren, überhaupt auf’s Pferd zu steigen, denn je nachdem, wie wackelig ich gerade bin, frage ich mich manchmal, ob das noch zu verantworten ist. Meine Freundin Anne, die alles ein bisschen für mich vorbereitet, guckt mich dann aber an und sagt: „Jetzt steigst Du ja wohl auf, oder?” Da kann ich dann auch irgendwie nicht „nein“ sagen. Dann reite ich, strahle vor Freude, steige ab und sage: „Gut, dass ich es doch gemacht habe!” Ich denke mir auch: „Machst Du es ein paar Tage nicht, bekommst Du den Bogen vielleicht nicht mehr. Wer rastet, der rostet.“ Im Rhythmus zu bleiben, macht es mir leichter. Dass ich schwierige Phasen habe, kommt eigentlich nicht vor. Wenn etwas nicht so gut läuft, reflektiere ich und suche zuerst den Fehler bei mir. Sonst komme ich ja nicht weiter. Ich komme nur weiter, indem ich die Situation analysiere und ausprobiere, was ich beim nächsten Mal anders machen kann. Es gibt auch Menschen, die gehen – nur im sprichwörtlichen Sinne – nie dahin, wo es wehtut, an die Stelle, wo man durchkommen muss. Da bin ich anders. Und das ist, glaube ich, auch ein großer Teil des Erfolgs: Ich bin einfach ehrlich – auch zu mir.

Was können Sie anderen Menschen mit MS mit auf den Weg geben?

Mein Tipp: positiv denken! Der Spruch „Das Glas ist halb voll, statt halb leer“ hilft mir persönlich bis heute. Ich bin beruflich beim Bau beschäftigt. Als da im öffentlichen Raum einmal ein Stück von einer Statue heruntergefallen und bei einer Frau auf der Schulter gelandet ist, habe ich gesagt: „Was haben wir hier für ein Glück gehabt, dass der Frau das nicht auf den Kopf gefallen ist!” Natürlich muss das kontrolliert und wieder in Ordnung gebracht werden, aber: Es hätte noch viel schlimmer kommen können. Dann ist es wieder ein positiver Gedanke, dass genau das nicht passiert. So gehe ich alle Dinge an. Ich glaube, so denken nicht viele, aber man sollte einmal versuchen, darüber nachzudenken. Ich glaube, man kann sich das Leben schon schön machen.

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