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Bewegung & Kognition

Nachgefragt: Wie Eva trotz MS den Kilimandscharo bestiegen hat

15 Minuten

Veröffentlicht am 10.01.2022  von  trotz ms Redaktion

Trotz MS und Respekt vor der außergewöhnlichen Herausforderung entscheidet Eva, den Kilimandscharo zu besteigen. Welche überwältigenden Eindrücke sie bei diesem Abenteuer sammeln konnte, was es bei der Planung zu beachten gab und was ihr hilft, sich zu solchen Höchstleistungen zu motivieren, erzählt Eva im Interview.

Mit Ende 20 erhält Eva im Sommer 2019 die Diagnose MS. Kurz zuvor hatte sie sich auf den Jakobsweg begeben. Unterwegs bemerkt sie erste starke Symptome. Gewissheit erhält Eva, als sie wieder zu Hause ankommt. Sie sucht sich Unterstützung, um ihr Leben trotz MS zu meistern und sich von der Erkrankung nicht in eine Opferrolle drängen zu lassen. 2021 begibt Eva sich auf ein neues Abenteuer: Sie besteigt den Kilimandscharo.

Liebe Eva, wie ist die Idee entstanden, trotz MS den Kilimandscharo zu besteigen?

Mein neuer Arbeitgeber hat mich auf die Idee gebracht und dabei unterstützt. Er wusste, dass ich mit MS lebe, denn ich bin damals eigentlich wegen Coaching-Einheiten zu dem Unternehmen gekommen. Im Mittelpunkt standen dabei immer die Fragen: Wie gehe ich mit der Erkrankung um? Möchte ich die Opferrolle einnehmen, die ich anfangs ganz extrem hatte? Möchte ich wirklich so durchs Leben gehen oder möchte ich wieder stark und selbstbewusst sein – eigentlich wie vorher? Ich habe gelernt, mit der Erkrankung umzugehen, sie zu akzeptieren und das Beste daraus zu machen. Kurz darauf bin ich selbst als Mitarbeiterin zu dem Unternehmen gewechselt. Mein neuer Chef hat mir gesagt: „Eva, Du brauchst ein Abenteuer. Du brauchst ein Ziel. Wir machen einmal im Jahr eine Kilimandscharo-Reise. Ich glaube, das wäre das Richtige für Dich.“ Anfang des Jahres dachte ich dann: „Okay, ich melde mich einfach mal an.“ Da haben alle zu mir gesagt, das sei super mutig, aber zu dem Zeitpunkt ist mir das selbst gar nicht so vorgekommen. Ich hatte ja noch acht Monate Zeit, bis die Reise im November stattfinden sollte. Da gab es noch sehr viele Möglichkeiten, einen Rückzieher zu machen. Ich habe lange mit Axel gesprochen, meinem Kollegen, der solche Reisen seit Jahren organisiert.

Je näher der Termin gekommen ist, desto mehr dachte ich: „Was mache ich hier eigentlich? Warum habe ich mich angemeldet?“ Dann sind auch die Sorgen meiner Familie sehr groß geworden. Sie hat gesagt: „Eva, Dir geht es doch gerade wieder so gut – Du bist schubfrei. Auf der letzten Wanderung ist die MS erstmals aufgetreten und Du möchtest jetzt wieder wandern…“ Das war schon schwierig für mich. Im Sommer war ich kurz davor, die ganze Reise abzusagen. Aber ich weiß noch, wie Axel zu mir gesagt hat: „Eva, um Dich kämpfe ich! Und auch, wenn Du es nicht bis ganz nach oben schaffst, feierst Du jeden Tag und dann wirst Du Dich schon toll fühlen!“ Daraufhin habe ich meine Entscheidung dann getroffen.

Gab es bei der Planung der Reise Besonderheiten aufgrund Deiner MS?

Ja, das war ein ganz großes Thema. Ich habe mit zwei Neurologen gesprochen und auch gefragt, ob ich durch die Anstrengungen einen Schub auslösen könnte. Das war meine größte Sorge. Aber beide Ärzte haben mir gesagt, ihnen wäre nicht bekannt, dass durch körperliche Anstrengung ein Schub ausgelöst werden kann. Und auch meine behandelnde Neurologin hat mich in meinem Vorhaben bekräftigt. Sie ist immer ein Fan davon, das Leben so zu leben, wie man möchte. Sie hat mir geraten, das zu tun, worauf ich Lust habe und was ich auch ohne MS machen würde.

Für mich war klar, dass ich bei der Wanderung kein Tagesgepäck trage, um schon einmal wortwörtlich den Ballast von meinen Schultern zu nehmen. Vor Ort habe ich dann tatsächlich einen persönlichen Guide und zusätzlich einen persönlichen Träger bekommen. Die beiden Männer sind die ganze Zeit bei mir gelaufen, haben mich umsorgt und immer gesonderte Pausen mit mir gemacht.

Welche Erlebnisse haben Dich auf Deiner Reise besonders geprägt?

Die Gruppe, mit der ich die Reise angetreten habe, hat schon länger festgestanden. Aber drei Wochen vor Abflug haben wir uns zum ersten Mal mit allen gemeinsam getroffen. Da haben wir im Kreis gesessen, uns vorgestellt und erzählt, was für Wehwehchen wir so haben. Das war super interessant für mich. Der eine hatte sich gerade seinen Oberschenkel gezerrt, der andere ein Problem mit der Achillessehne, der nächste einen Gehörsturz… Jeder hatte sein eigenes Päckchen zu tragen, auch mit gesundheitlichen Einschränkungen. Dadurch bin ich mit meiner MS gar nicht so hervorgetreten, das fand ich ganz schön. Ich dachte, ich würde die Einzige sein, die mit einem Handicap da hochgeht.

Aber die gesamte Reise war einfach unglaublich. Ich kann gar nicht wiedergeben, was für Gefühle das in mir ausgelöst hat. Ich bin einfach nur unheimlich froh, es gemacht zu haben und dass ich es schlussendlich auch geschafft habe. Ich habe wirklich diesen Gipfel bestiegen. Das Größte, das ich mitgenommen habe, ist Dankbarkeit, dass mein Körper das so unheimlich gut mitgemacht hat. Ich hätte das nicht gedacht. Vor zwei Jahren habe ich durch den zweiten MS-Schub noch im Rollstuhl gesessen, aber jetzt klettere ich auf den höchsten Berg Afrikas. Das hat so viel in mir ausgelöst und mir so viel Stärke gegeben. Fast jede Etappe war für mich eine Grenzerfahrung, weil man weiß, dass man in der Wildnis ist. Da kann man nicht sagen: „Ich kann nicht mehr, ich will nach Hause.“ Denn auch dann müsste man umdrehen und noch den Heimweg antreten. Sich damit auseinanderzusetzen war das Größte. Ich bin super dankbar, dass mein Körper das alles so mitgemacht hat. Ich weiß noch, wie ich zwischendurch zu meinem Guide gesagt habe: „Lass mich hier liegen, ich bleibe hier. Ich kann nicht mehr!“ Aber er hat daraufhin zu mir gesagt: „Langsam, langsam. Schritt für Schritt. Wir schaffen das!“ Es war ein unglaubliches Gefühl, wie er da Hand in Hand mit mir hochgegangen ist. Dann habe ich das Schild gesehen: 5.756 Meter. Da habe ich nur noch geweint. So etwas Unglaubliches und Überwältigendes habe ich noch nie zuvor gefühlt.

Wie motivierst Du Dich? Woher schöpfst Du die nötige Kraft?

Ich mochte es immer schon gerne, in der Natur zu sein und zu wandern. Irgendwie motiviert es mich, an meine Grenzen zu gehen und zu gucken, was man noch schafft oder wie leistungsfähig man ist. Kraft schöpfe ich auch extrem aus meiner Familie und meinen Freunden. Es ist Wahnsinn, was ich für tolle Nachrichten während der Reise und auch danach noch bekommen habe. Die haben mich teilweise zu Tränen gerührt. Es gibt mir so viel Kraft, zu wissen, dass ich Menschen um mich habe, die für mich da sind. Auch wenn die Reise nicht gut ausgegangen wäre, hätte keiner entgegnet: „Ich hab es Dir doch gesagt!“ Das ist das größte Geschenk für mich: dass ich so eine Familie und so einen Freundeskreis habe. Ich muss zugeben: Es ist nicht immer alles rosarot – ich bin ja nicht immer unterwegs und besteige irgendwelche Berge. Es gibt auch sehr dunkle Tage, an denen alles wieder so real wird und sich meine MS bemerkbar macht. Ich lasse die Traurigkeit dann zu und akzeptiere das in dem Moment – oder versuche zumindest, es zu akzeptieren.

Ich habe seit der Diagnose ganz viel über mich gelernt: was es bedeutet, über seine Grenzen hinauszugehen, die Komfortzone zu überschreiten und mal wieder Selbstvertrauen in sich und seinen Körper zu haben. Die größte Erfahrung ist einfach, dass mein Körper mich da hochgebracht hat. Ich habe währenddessen gemerkt, dass ein Knoten in mir drin geplatzt ist, dass mein Körper immer stärker geworden ist und ich mich immer sicherer fühle. Das war einfach das schönste Gefühl: dass mein Körper und ich wieder Eins waren und ich wusste – so wie früher – dass ich mich auf meinen Körper verlassen kann.

Was kannst Du anderen Menschen, die mit MS leben, mit auf den Weg geben?

Wenn man versucht, im Kopf positiv und klar zu sein, kann man schon ganz viel erreichen. Aber in manchen Momenten ist einfach alles blöd. Als ich damals die Diagnose bekommen habe, haben die Ärzte zu mir gesagt, dass dieses Bild im Kopf, mit MS irgendwann im Rollstuhl zu sitzen, mittlerweile gar nicht mehr so unbedingt zutreffen muss. Vier Wochen später habe ich allen Ernstes nach einem Schub im Rollstuhl gesessen und die Welt nicht mehr verstanden. Wenn ein Arzt sagt, dass man gut damit umgehen kann, mag das vielleicht so kommen, aber es heißt auch nicht, dass man das sofort können muss. Das dauert. Es ist ein Prozess.

Am Anfang ist man super vorsichtig und bewegt sich wie auf Eierschalen – das war bei mir ganz extrem. Aber dann habe ich mir meinen Weg gesucht und mir gesagt: „Ich habe ein Medikament, das mir hilft. Ich bin guter Dinge und tue alles dafür, dass es mir gut geht!“ Das ist, glaube ich, der richtige Weg – zumindest für mich. Ich hatte ganz am Anfang das Gefühl, mir liefe die Zeit davon und ich müsste jetzt alles sofort erleben, weil ich nicht weiß, wie es mir in einem oder zwei Jahren gehen wird. Aber das ist überstürzt und macht gar keinen Sinn. Mentale Stärke ist ein ganz entscheidender Faktor, das muss man wirklich lernen.

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