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Manuela B., MS-Schwester, 40 Jahre

Erfahrungsberichte

Fatigue – Ein bisschen müde hätte auch gereicht

10 Minuten

Veröffentlicht am 03.07.2018  von  Manuela B.

Chronisch erkrankte Menschen leiden in vielen Fällen an dem Phänomen der Fatigue. Aber was ist das eigentlich? Fatigue ist eine zum Teil sehr stark behindernde körperliche und geistige Erschöpfung – so wird es im klinischen Alltag definiert. Aber wie gehe ich damit um?

Das Fatigue-Syndrom gehört zu einer der häufigsten Symptomen bei MS-Betroffenen und ist mitunter eines der belastendsten. Vor lauter Erschöpfung einschlafen und am Morgen erschöpft aufwachen, das sind die typischen Kennzeichen einer Fatigue.
Weitere Kennzeichen:

  • Gefühl generalisierter Schwäche
  • Konzentrationsstörungen
  • Mangel an Motivation, den normalen Aktivitäten des Alltags nachzugehen
  • Gestörtes Schlafmuster
  • Emotionale Reaktionen wie Frustration oder Reizbarkeit
  • Sozialer Rückzug, Isolation
  • Verlust der körperlichen Belastbarkeit
  • Körperliche Symptome: Halsschmerzen, Kopfschmerzen, Gelenkschmerzen, grippeähnliche Symptome

Und es gibt leider noch einige mehr. Diese Einschränkungen lassen MS-Betroffene manchmal den ganz normalen Alltag nicht bewältigen. Jeder Patient geht individuell mit diesem Symptom um und doch erzählen viele das Gleiche.

Es ist wichtig, sorgsam mit seinen Kraftreserven umzugehen.

Wie bewältigen Patienten ihren Alltag?

Wenn ich mit meinen Patienten über das Thema „Fatigue“ spreche, sage ich ihnen jedes Mal, dass es wichtig ist, mit den vorhandenen Kraftreserven sorgsam umzugehen. Um ein Gefühl dafür zu bekommen, welche Tätigkeiten mit wie viel Kraftaufwand möglich sind, kann ein Fatigue-Tagebuch nützlich sein. Hierin können der Tagesablauf sowie das jeweilige körperliche und seelische Befinden dokumentiert werden. Somit lässt sich der Tag gut strukturieren, wichtige Dinge können beispielsweise auf andere Zeiten verlegt werden, in denen sich der Patient vergleichsweise fit fühlt. Experten empfehlen zudem, die Aktivitäten allmählich und behutsam zu steigern. Übermäßige Schonung, so der aktuelle wissenschaftliche Stand, hat keinen positiven Effekt auf die Fatigue-Symptome. Zudem ist das Tagebuch auch für mich als MS-Nurse nützlich, da ich es gemeinsam mit dem Patienten ansehen und über die Entwicklung seines Wohlbefindens sprechen kann.

Lerne „Nein“ zu sagen, wird oft von Ärzten als gut gemeinter Rat empfohlen. Allerdings, und das kann ich sehr gut verstehen, ist dies in vielen Fällen nicht immer einfach und nicht in jeder Situation kann ich mich zurückziehen und mir eine Auszeit gönnen.

Frauenkopf liegt auf dem Tisch

Problem Diagnosestellung

Trotz ihrer Bedeutung für viele MS-Patienten ist die Fatigue nicht gut definiert, was damit zusammenhängen mag, dass ihre Abgrenzung gegenüber anderen Symptomen wie Kognitionsstörungen oder eine Depression – beides ebenfalls zwei sehr häufige Symptome bei MS – im Einzelfall schwierig sein kann.

Fatigue messbar machen

Mit Fragebögen lässt sich die Fatigue messbar machen, aber ist dies denn wirklich sinnvoll?
Ich würde sagen: ja und nein. Denn jeder Tag ist anders und jeder Mensch ist individuell. Einer empfindet die Symptome als weniger schlimm, ein anderer empfindet die Situation als nicht tragbar. Zudem können solche Fragebögen je nach Tageszeit sehr unterschiedlich ausfallen, je nachdem zu welchem Zeitpunkt die Erschöpfung ihren Höhepunkt hat. Auch die Tagesform spielt bei der Beantwortung des Fragebogens eine große Rolle.

Um eine Fatigue messbar zu machen, haben Forscher aus der Onkologie schon verschiedene Methoden getestet. Die vielversprechendste ist wohl eine Augenbewegungsstudie (pupillometrische Studie) während eines Konzentrationstests, dem sogenannten TAP-Test. Hier wird mittels einer Kamera der Augenschlag gemessen. Denn aus medizinischer Sicht verändert sich der Augenschlag je nach Müdigkeit. Wir blinzeln zunehmend mehr, wenn wir müde sind. In einer Testreihe wurden gesunde Menschen mit Krebspatienten verglichen, die eine Chemotherapie erhalten. Hier zeigte sich ein gravierender Unterschied in der Konzentrationsfähigkeit der Probanden. Somit könnte dies als messbarer Parameter etabliert werden. Wir können dann auch vergleichen, ob sich im Laufe der Erkrankung eine Verschlechterung eingeschlichen hat. Dieser Test wird an unterschiedlichen Zeitpunkten am Tag via Telemedizin durchgeführt.

Was Angehörige wissen sollten

Für betroffene Patienten ist es oft schwer, einem Außenstehenden die empfundene Erschöpfung begreiflich zu machen. Neben zugewandtem Verhalten und Gesprächsbereitschaft hilft Betroffenen oft vor allem tatkräftige Unterstützung – auch wenn sie selber nicht ausdrücklich darum bitten. Wichtig ist es vor allem, die Beschwerden des Patienten zu akzeptieren und Rücksicht zu nehmen. Wenn Angehörige sich mit der Situation überfordert fühlen, sollten sie sich nicht scheuen, über Paar- oder Familienberatungsstellen professionelle Hilfe zu holen. Eine gemeinsame Bewältigung der Belastungen kann die Rückkehr in einen normalen oder angepassten Alltag erleichtern.

Was kann ich ganz persönlich tun

Ich kann da nur raten, nicht damit zu beginnen, das Gefühl der Erschöpfung zu zelebrieren. Permanent auf dem Sofa oder im Bett zu liegen, hilft leider nicht. Denn: Kaum zu glauben, aber Bewegung und Sport helfen gegen die Fatigue. Spazierengehen an der frischen Luft, während der Mittagspause, oder ähnliches unterstützt dabei, die Aufgaben des Alltags wieder anzugehen. Auch geregelte Strukturen im Tagesablauf tragen dazu bei – und diese am Wochenende einzuhalten. Das heißt, trotzdem rechtzeitig aufzustehen und nicht bis mittags im Bett liegen zu bleiben. Jeder muss für sich persönlich seinen Weg finden, um mit dem Symptom umgehen zu können.

Das bedeutet auch, damit umgehen zu lernen, wenn „gesunde Menschen“ bestätigen, dass sie in letzter Zeit auch müde sind und unter der Sommerhitze leiden. Es ist hier wirklich der Fall, dass Fatigue noch ein ganz anderes Erschöpfungslevel mit sich bringt als „nur müde“ zu sein. Nicht-Betroffene können dieses Symptom daher kaum nachvollziehen. Klar haben wir alle mal die sogenannte Frühjahrsmüdigkeit, oder Probleme mit der Hitze im Sommer, aber es ist für uns nicht vorstellbar, wie es ist, eine Fatigue zu haben.

Mein Tipp, den ich allen Betroffenen mit Fatigue ans Herz lege: Werdet aktiv und lasst Euch von der Fatigue nicht unterkriegen. Geht an die frische Luft für einen abendlichen Spaziergang mit Euren Liebsten, macht eine kleine Radtour oder beschäftigt Euch auf eine andere, aber Hauptsache aktive Art und Weise.

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