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Simone, PPMS-Betroffene, 50 Jahre

Erfahrungsberichte

Die MS hat meine Sichtweise verändert

5 Minuten

Veröffentlicht am 15.09.2017  von  Simone

Manchmal bin ich auch heute noch rational bis zur Langeweile. Ich kann mich unheimlich gut an Regeln halten. Und solange ich sie für „vernünftig“ erachte, hinterfrage ich sie nicht und erfülle sie. Das bezieht sich auf den Arbeitsbereich und den Umgang miteinander. Dann beurteile ich Menschen auch gerne danach, ob sie meines Erachtens „gesunden Menschenverstand“ haben oder für meine Begriffe im zwischenmenschlichen Bereich anecken.

Durch meine MS-Erkrankung hat sich einiges verschoben

Es gibt ja die Diskussion, ob es die MS mit sich bringt, dass man härter urteilt. Ich kann für mich sagen, manches kann ich tatsächlich nicht mehr nachvollziehen. Wenn ich Menschen erlebe, die etwas in meinen Augen Kleines reklamieren oder wegen einer Lappalie bis aufs Messer diskutieren, dann kann ich das nicht mehr ernst nehmen. Es ist wie ein Automatismus. Ich denke: „Wenn das Dein größtes Problem ist, dann bist Du ein glücklicher Mensch.“

Umgekehrt zeigt mir meine Reaktion aber auch, wie tief mich die Erkrankung im Innern erschüttert, wenn ich für andere kein Verständnis mehr habe.

Simone, PPMS-Betroffene, 50 Jahre

Simone, PPMS-Betroffene, 50 Jahre

Meiner Freundin habe ich einmal erzählt, dass bei mir eine Bekannte über ihre Cellulite klagte, und ich, bereits gehbehindert, neben ihr saß. Ich fand das damals witzig und paradox. Meine Freundin meinte, das bedeute, dass die Bekannte mich noch als gesunden Menschen wahrnähme. Und ich denke, sie hatte Recht.

Monate später saßen wieder zwei Bekannte in meiner Nähe und unterhielten sich über kleine Schönheitsprobleme und ich merkte: Das interessiert mich überhaupt nicht, ich will auch gar nicht weiter zuhören. Ich habe mich dann selbst zum ersten Mal als chronisch erkrankten Mensch wahrgenommen.

Die Erkrankung macht mich verständnisvoller für andere Menschen

Umgekehrt verstehe ich auf einmal Menschen, die für ihre Umwelt irrational handeln und auf Unverständnis stoßen. Wenn jemand nach Jahren in seinem Leben etwas Grundlegendes verändert und andere das verurteilen, dann denke ich jetzt immer: „Ich verstehe ihn. Wer weiß, welchen Einschnitt er in seinem Leben hinnehmen musste.“ Im Verhältnis zu früher kann ich sagen, zwischenmenschlich bin ich großzügiger geworden. Allerdings nehme ich das nicht als Gewinn für mein Leben wahr, sondern als Veränderung in meiner Wahrnehmung.

In allem Schlechten gelte es, etwas Gutes zu entdecken.

Die Erkrankung hat einen Keil in mein Urteilsvermögen getrieben. Für kleine, an Regeln orientierte Dinge habe ich kein Verständnis mehr, irrationales Handeln ist mir nah. Das heißt, manche Situationen behandle ich inzwischen sehr grob, andere haben mich menschlicher gemacht.

Das klingt so, als könne ich der Erkrankung auch etwas Positives abgewinnen, nach dem Motto: In allem Schlechten gelte es, etwas Gutes zu entdecken. Ich will auch an mir arbeiten, in der Auseinandersetzung mit der Krankheit, Positives zu erkennen. Aber ich möchte in Zukunft nicht nur für die großen Veränderungen im Leben Verständnis zeigen, sondern auch wieder für die kleinen.

Inhaltlich geprüft: M-DE-00003220

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