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Veröffentlicht am 12.04.2023 von trotz ms Redaktion
Verdrängen, akzeptieren, annehmen: Es gibt viele Wege, auf die MS-Diagnose zu reagieren. Ute hat selbst verschiedene Wege ausprobiert, damit umzugehen. Ihre Erfahrungen, Erkenntnisse und Erlebnisse möchte sie mit anderen Menschen teilen, die ebenfalls mit MS leben.
Ich bin Ute, 59 und lebe mit meinem Mann umgeben von Weinbergen mit Blick in die Schweiz und nach Frankreich. Unsere Kinder sind „ausgeflogen“ zum Studieren und ich stehe kurz vor meinem 60. Geburtstag: eine Zeit, in der man reflektiert und überlegt, wie das Leben weitergehen soll und wofür man seine Energie einsetzen möchte. Ich habe beschlossen, nach vielen Jahren der Verdrängung und circa zehn Jahren der Akzeptanz, nun meine Erfahrungen mit meiner MS zu teilen. Das ist für mich ein neuer Entwicklungsschritt, von denen es in fast 30 Jahren, seit ich mit der Diagnose lebe, viele gegeben hat.
Ich kann mich noch an meine Zeit als Berufsanfänger erinnern, in der ich taube Fingerspitzen hatte und mir das Fühlen etwas seltsam vorkam. Ich habe dem kein großes Gewicht zugemessen und deswegen auch nicht abklären lassen. Erst später ist mir bewusst geworden, dass es sich dabei um Empfindungsstörungen gehandelt haben kann. Wenige Jahre darauf wurde in Amerika, wo wir aufgrund eines Stipendiums meines Mannes in Boston lebten, unser Sohn geboren. Das Glück schien perfekt – Meinen Ausspruch „Happy go lucky“ (deutsch: unbekümmert, unbeschwert) haben wir wirklich gelebt.
Kaum in Deutschland zurück erblickte unsere Tochter das Licht der Welt. Auch hier war alles bestens. Meinen häufigen Harndrang habe ich damals der Geburt zugerechnet und lange mit Beckenbodentraining mein Bestes versucht.
Mit zwei kleinen Kindern erlebte ich Weihnachten 1999 eine seltsame Episode. Das Händewaschen nach dem Weihnachtsessen war äußerst absurd, denn aus dem Becken, aus dem normalerweise nur kaltes Wasser strömte, kam nun Warmes. Außerdem fühlte sich meine rechte Körperhälfte an wie entflammt. Schnell bin ich in der Neurologie gelandet. Vielfältige Untersuchungen, wie auch Rückenmarkspunktion ließen den Neurologen in der Zusammenschau sagen, dass es sich um eine Autoimmunerkrankung handeln könnte. Eine solche Erkrankung wäre zum Beispiel Diabetes, aber in meinem Fall müsste man an MS denken. Eine endgültige Diagnose würde man aber erst stellen, wenn sich das Ganze nochmal wiederholt, hieß es damals. (Achtung: Das läuft heutzutage anders!)
Anstatt auf einer fetten Party fand ich mich zum Jahrtausendwechsel ganz anders wieder: Nach der am Vortag erfolgten Entlassung aus dem Krankenhaus und einer schwer zu verdauenden möglichen Diagnose war ich bei Freunden zum Abendessen und Anstoßen auf das neue Jahrtausend. Mein Mann war zum Nachtdienst in der Klinik verpflichtet. Was für ein Start in ein neues Jahrtausend! Wo war „Happy go lucky“ geblieben?
Verdrängen – muss nicht sein; verstehen – so früh wie möglich; veröffentlichen – wenn man möchte.
Mit zwei kleinen Kindern konnte ich mir nicht so viele Gedanken darum machen und ich war nach drei Monaten auch wieder einigermaßen hergestellt. Ich vergaß.
Plötzlich war es aber wieder da: das Gefühl der nicht stimmenden Temperaturen auf meiner Haut. Das Ganze fand passenderweise im Urlaub statt. Wieder zu Hause und beim nochmaligen Besuch des Neurologen bestätigte sich dann, was wir zuvor gehört hatten, aber nicht hören wollten: Die Diagnose MS stand fest.
Da ich ein optimistischer Mensch bin, habe ich mich von der Diagnose erstmal nicht erschlagen lassen. Ich hatte viel gelesen – vor allem auch, dass MS bei jedem anders verläuft. „Wird schon gut gehen“, dachte ich. Und warum nicht einfach verdrängen? Mein Motto war: „Geht schon, wenn man …“
Da man mir inzwischen doch ansah, dass meine Bewegungen anders abliefen als früher, habe ich mich im Rahmen meines letzten großen Geburtstags zu einem „Coming-out“ entschlossen. Viele Freunde wussten noch nicht, was mit mir los war und waren sichtlich betroffen, als ich von meiner MS erzählt habe. Ich zwar auch, aber ich war froh, diesen Weg gewählt zu haben, um es meinem Umfeld mitzuteilen, denn im Endeffekt war das Vorgehen einfacher, als es jedem einzeln zu sagen.
In den letzten zehn Jahren bin ich etwas auf die schiefe Bahn geraten: Der Verlauf meiner MS hat sich verändert. Inzwischen bin ich als sekundär progredient diagnostiziert. Schübe gab es seitdem keine mehr. Die Bahn ist nur leicht schief. Mit Aktivität, guter Laune und der unglaublichen Unterstützung meines Mannes und meiner Freunde versuche ich den Neigungswinkel so flach wie möglich zu halten, um möglichst eben zu leben.
Eben leben – leben eben!
Vieles habe ich in der Zeit erlebt: viele Medikamente ausprobiert, viele Therapeuten gesehen, viele Methoden ausprobiert, über mich selbst gelernt; geweint, aber auch gelacht.
Jetzt bin ich bereit, darüber zu bloggen und meine Erfahrungen zu teilen. Wenn Ihr Lust habt mehr zu hören, lasst es mich wissen, indem Ihr meinen Beitrag liked.
Inhaltlich freigegeben: M-DE-00016099
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