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Kevin, MS-Betroffener, 31 Jahre

Erfahrungsberichte

Mein erster Besuch bei trotz ms DIE ROADSHOW

15 Minuten

Veröffentlicht am 18.08.2022 

trotz ms DIE ROADSHOW hat mir wieder einmal gezeigt, wie wichtig der persönliche Kontakt und der allgemeine Austausch unter MS-Betroffenen ist. Die Roadshow setzt aber noch eine Kirsche auf das Eis obendrauf – denn zur Verstärkung waren zusätzlich Expert:innen vor Ort, wie MS-Berater:innen aus Arztpraxen und Mediziner:innen.

Zwischen Vorfreude und Ängsten

Anfang Juli bin ich von Kassel nach Nürnberg gefahren, um endlich auch mal dabei zu sein, wenn das Team von trotz ms es sich zur Aufgabe macht, an einem von zwölf Standorten in Deutschland als Anlaufstelle für MS-Betroffene da zu sein. Bereits während der dreistündigen Autofahrt dorthin haben sich in mir Aufregung und Vorfreude breitgemacht. Im Kopf bin ich immer wieder durchgegangen, wie die MS in mein Leben getreten ist. Wie unsicher ich am Anfang war – voller Sorgen, Unwissenheit, Ängsten, Pessimismus und depressiven Gedanken. „Bin ich vorbereitet auf jemanden, der in dieser Situation ist?“ – habe ich mich selbst gefragt. Es ist eine Phase voller sehr persönlicher Gedanken, Fragen und Herausforderungen und es gibt viel, dass man selbst auch falsch machen kann.

Wenn man schon so lange mit MS lebt wie ich (mittlerweile acht Jahre lang), dann vergisst man manchmal, wie schlimm das alles am Anfang für einen war. Ist man durch so viele Höhen und Tiefen gegangen, macht das einen stärker. Also habe ich mich auch gefragt, ob ich nicht schon zu viel Distanz dazu habe und mit meiner gutgemeinten, motivierenden Art die Menschen nicht eher abschrecke – #toxischepositivität.

Online meets offline

Es ist doch noch einmal ein Unterschied, ob man im Internet mit den Menschen in den Austausch geht oder im echten Leben. Während man seine Antwort in das Smartphone tippt, kann man seine Texte noch mehrfach lesen, korrigieren, sensibler sein und es dann versenden. Ein ausgesprochenes Wort vor Ort kann sich beim Gegenüber schneller festsetzen, als man das vielleicht wollte. Spoiler: All diese Bedenken waren völlig unnötig! Mich hat ein fantastischer Tag erwartet.

Entgegen aller Bedenken

Angekommen in Nürnberg habe ich den wunderschönen trotz ms Bus gesehen. Zentral in der Innenstadt – nicht zu übersehen. Bevor es offiziell losging, durfte ich die anderen MS-Betroffenen kennenlernen, die ich teilweise seit Jahren aus den sozialen Medien kenne. Es hat sich ein wenig so angefühlt, als wären es Freund:innen, die man lange nicht gesehen hat. Das Eis war direkt gebrochen. Vergleichbar mit einem Klassentreffen, mit dem Unterschied, dass wir alle auf die harte Schule des unvorhersehbaren Lebens gingen, statt gemeinsam Mathe, Deutsch und Chemie zu lernen.

Den trotz ms Roadshowbus kannte ich ja bereits vom Kämpferherzen-Treffen in Kassel. Das Team von trotz ms war so lieb und hat im Juni meine Veranstaltung für Menschen mit chronischen Erkrankungen und/oder Behinderungen durch seine Anwesenheit unterstützt und mir dabei geholfen, MS-Symptome für Nicht-Betroffene nachvollziehbar zu machen. Ich muss wirklich sagen: Ich liebe diesen Bus! Das habe ich schon, bevor ich das erste Mal selbst drin war und alles nur aus dem Internet kannte.

Was Multiple Sklerose am Anfang so schwer macht, ist: Man fühlt sich sehr unverstanden. Die Familie und Freund:innen können sich nur schwer in die eigene Situation hineinversetzen. Der Roadshowbus ist bei dieser Aufklärungsarbeit großartig.

Meine Eindrücke von den Symptomstationen im Roadshowbus

Ein beweglicher, unebener Boden simuliert Gangschwierigkeiten. So sehr man sich bemüht, einfach geradeaus zu laufen, es geht nicht. Da bekommt das Sprichwort „Lauf mal ein paar Meter in meinen Schuhen“ eine sehr treffende Bedeutung.

Auf einem Monitor wird die Getränkekarte angezeigt, welche ständig durch blinde Flecken, Verzerrungen und Doppelbilder gestört wird. Da ich selbst öfter mit Sehnerventzündungen zu kämpfen habe, bin ich ein großer Fan von dieser Visualisierung im Bus.

Es gibt darüber hinaus noch so viel mehr im Bus zum Nachempfinden wie Fatigue, Hitze-Kälte-Empfindungsstörungen und mithilfe einer VR-Brille den Verlust der motorischen Fähigkeiten.

Der erste Austausch mit einer Roadshow-Besucherin

Nachdem ich mich mit dem gesamten Bus noch einmal vertraut gemacht hatte, bin ich vor die Tür gegangen. Dort standen schon die ersten Patient:innen, die direkt auf mich zugegangen sind.
Darunter auch eine junge Frau Ende Zwanzig und ihr Ehemann. Die Diagnose hat sie vor drei Wochen erhalten und ihre Neurologin hatte ihr empfohlen, zur Roadshow zu gehen. Ohne es in diesem Moment zu wissen, ist in der Sekunde mein persönliches Highlight des Tages gestartet. Sie war sehr zögerlich und verunsichert, also habe ich zuerst versucht, ihr zu zeigen, dass sie mir vertrauen kann – und noch mehr: dass ich sie verstehe.

Jede Erkrankung ist individuell, aber Du bist nicht allein

Ich habe sie erst einmal erzählen lassen: Wann hast Du die Diagnose erhalten? Was weißt Du schon über die Erkrankung? Hast Du bestimmte Sorgen oder Zukunftsängste? Welche Symptome hattest Du bisher? Wie hast Du Dir Deine Zukunft bisher vorgestellt und was glaubst Du, wie sie nun aussehen wird? In jeder ihrer Antworten habe ich mich vor acht Jahren wiedergefunden. Aber nicht nur das, denn in den Augen ihres Mannes habe ich dieselbe Hilflosigkeit erkannt, wie in den Augen meiner Familie damals.

Wir haben uns daraufhin eine ganze Stunde lang unterhalten und sind gemeinsam durch den Bus gegangen. Ich habe vor allem ihrem Ehemann gezeigt, wie es sich mit MS lebt und habe mich sehr gefreut, als ich gehört habe, wie er gesagt hat: „Echt? So ist das, wenn Dir schwindelig ist? Jetzt verstehe ich, was Du immer meinst!“

MS-Betroffener Kevin bei trotz ms DIE ROADSHOW mit zwei Besucherinnen

MS-Betroffener Kevin bei trotz ms DIE ROADSHOW mit einem Besucher

MS-Betroffener Kevin bei trotz ms DIE ROADSHOW

MS-Betroffener Kevin bei trotz ms DIE ROADSHOW

Kaempferherzentreffen in Kassel

Sinn und Zweck des Busses – erfüllt!

Noch schöner sind ihre Worte zum Ende ihres Besuchs gewesen: „Ich hatte so viel Angst heute Morgen. Eigentlich wollte ich gar nicht erst hierher kommen. Ihr habt mir gezeigt, wie facettenreich MS ist und ich bin überrascht, dass ihr alle so fröhlich seid. Jetzt habe ich wieder Hoffnung, dass auch ich bald wieder fröhlich sein kann.“

Sie hat sich nach unserem Austausch noch längere Zeit mit einer Neurologin vor Ort unterhalten, die sie umfänglich zu ihren Möglichkeiten beraten hat. Zuvor hatte sie sich auch von ihrer behandelnden Ärztin nicht verstanden oder gut aufgeklärt gefühlt. Daran haben wir wieder gesehen: Eine Zweitmeinung kann nie schaden!

Ehe ich mich versah, war der gesamte Vorplatz des Roadshow-Busses voller Menschen. All meine MS-Kolleg:innen und Ansprechpartner:innen des Teams von trotz ms waren in Gespräche mit Betroffenen vertieft: ob Mütter, die sich für ihre Kinder informiert haben, Menschen mit frischer Diagnose oder auch Personen, die selbst jahrelang mit MS leben und einfach endlich mal auf Gleichgesinnte treffen wollten. Wir alle hatten das Gefühl, dass wir an diesem Tag einen großen Beitrag für unsere Community leisten konnten.

Mein persönlicher Rat

Aufklärungsarbeit ist wichtig, denn wir Betroffene werden immer noch häufig mit Unverständnis und falschen Klischees konfrontiert. Ich persönlich kann mir kein besseres Aufklärungsteam vorstellen als den Mix aus Expert:innen, Forschenden und Betroffenen. Das fachliche Wissen bringen die Expert:innen. Die Forschenden geben Hoffnung für die Zukunft. Die Betroffenen können emotional auffangen und aus dem „echten Leben“ mit Multipler Sklerose erzählen.

Wenn Du, liebe Leserin oder lieber Leser, noch nicht lange mit Multipler Sklerose lebst, kann ich Dir wirklich ans Herz legen – sprich darüber. Wir sind viele und das nicht nur aus einer Personengruppe, sondern wir sind divers! Wir sind jünger und älter. Wir sind Single, verheiratet und Eltern. Wir sind arbeitssuchend und haben Karrieren. Wir sind schüchtern und extrovertiert. Wir sind verzweifelt und mutig. Wir sind so vieles, aber eines nicht: ALLEINE!

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