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Ursachen

Neue Theorie: Sind Viren an der MS-Entstehung beteiligt?

7 Minuten

Veröffentlicht am 14.02.2018  von  Onmeda

Eine neue Theorie befeuert die Diskussion um die Entstehung der multiplen Sklerose. Möglicherweise spielen Bestandteile von Viren, die im Erbgut des Menschen schlummern, bei der Nervenerkrankung eine entscheidende Rolle. Werden sie aktiviert, lösen sie die typischen Entzündungsherde aus.

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Multiple Sklerose (MS) ist eine Erkrankung, die Forschern noch immer viele Rätsel aufgibt. Bislang ließ sich keine genaue Ursache der Nervenerkrankung festmachen. Bekannt ist, dass bestimmte Risikofaktoren bei der Entstehung der multiplen Sklerose eine Rolle spielen. Wissenschaftler diskutieren unter anderem, welche Rolle die genetische Veranlagung, Virusinfektionen (z.B. Epstein-Barr-Virus), Vitamin D-Mangel, ein zu hoher Salzkonsum, Übergewicht im jungen Erwachsenenalter oder Nikotinkonsum spielen. Selbst eine gestörte Darmflora bringen Forscher heute mit der Entstehung von MS in Verbindung. Viele mögliche Einflussfaktoren, aber nur wenige konkrete Antworten.

Fakt ist, dass bei Menschen mit multipler Sklerose die schützenden Nervenhüllen aus Myelin und schließlich die Nervenzellen zugrunde gehen. Aber warum? MS ist eine Autoimmunerkrankung. Ein fehlgeleitetes Immunsystem attackiert fälschlicherweise körpereigene Strukturen und löst Entzündungen aus. Bei multipler Sklerose sind die Nervenzellen betroffen, bei rheumatoider Arthritis sind es die Knochen, Gelenke und Weichteilstrukturen.

Sind Entzündungen der erste oder zweite Schritt?

Wissenschaftler des Universitätsklinikums Halle an der Saale haben nun eine neue Theorie zur Entstehung der MS aufgestellt. Präsentiert haben sie diese auf dem Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) Ende 2017 in Leipzig. Der Hintergrund: Einige neuere Untersuchungsergebnisse sprechen gegen die gängige Auffassung, dass Entzündungen am Anfang der multiplen Sklerose stehen.

Die Forscher gehen vielmehr davon aus, dass sich die Krankheitsherde über einen längeren Zeitraum ohne jegliche Entzündung im Gehirn und Rückenmark entwickeln. Schon Monate zuvor entstünden nichtentzündliche Abbauprozesse, vermutet der Neurologe Alexander Emmer aus Halle an der Saale. Erst im Verlauf der Krankheit würden Entzündungszellen aus dem Blut in diese Krankheitsherde einwandern. Und diese würden die bekannten MS-Symptome verursachen. Auch auf Magnetresonanztomografie-Aufnahmen (MRT) sind die Entzündungen dann sichtbar. Demnach seien Entzündungen nicht das Erste, was bei MS passiere. Vielmehr antworte das Immunsystem erst im zweiten Schritt in Form einer entzündlichen Reaktion.

Die Rolle von "Superantigenen"

Im Verdacht haben die Forscher aus Halle an der Saale Eiweiße, die in den Hüllen spezieller Viren vorkommen, den humanen endogenen Retroviren (HERV). Ihre Besonderheit ist es, dass sie ihr Erbgut in das der Wirtszelle integrieren. Endogene Retroviren können in der menschlichen DNA sehr lange Zeit verbleiben und werden von Generation zu Generation weitervererbt.

Diese Eiweiße aus den Virenhüllen aktivieren das Immunsystem besonders stark: "Als solche 'Superantigene' sind die Hüllproteine der Auslöser der sekundären Entzündungsvorgänge im zentralen Nervensystem, die für MS typisch sind", erklärt Neurologe Emmer. Gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern erforscht er diese "Viren-Theorie" und die Umweltfaktoren, die diese Viren erwachen lassen und aktivieren. In ersten Versuchen an Tieren konnten die Forscher bereits nachweisen, dass sich Entzündungen im zentralen Nervensystem durch solche Superantigene erzeugen lassen. "Das Auslösen dieser Prozesse durch die Superantigene könnte ein Teil der Entstehung von MS sein", glaubt Emmer.

Erklärtes Ziel: Auslöser-Viren stilllegen

Endogene Retroviren haben sich im Laufe der Evolution zu einem wesentlichen Bestandteil des menschlichen Genoms entwickelt. Ihre Verbindung zu multipler Sklerose hatten schon mehrere andere Wissenschaftler beschrieben. Unter Verdacht steht hier beispielsweise das Epstein-Barr-Virus, der Auslöser des Pfeifferschen Drüsenfiebers. Wer an dieser Infektionskrankheit erkrankt ist, hat später offenbar ein erhöhtes MS-Risiko. Das Epstein-Barr-Virus könnte also ein Umweltfaktor sein, der die schlafenden HERV-Abschnitte im menschlichen Erbgut aktiviert. Nachfolgend wirke sich deren Erwachen im zentralen Nervensystem aus, so die Theorie.

Ob und wie diese HERV-Eiweiße zu Entzündungsreaktionen bei der MS beitragen, untersuchen die Forscher derzeit. Sollte sich die Theorie bewahrheiten, ließen sich daraus womöglich neue therapeutische Ansätze ableiten. Ziel wäre eine MS-Therapie, die die Viren "stilllegt". Dann sei die multiple Sklerose eines Tages vielleicht sogar heilbar, hoffen die Forscher.

Quellen:

Online-Information des Universitätsklinikums Halle (Saale): www.medizin.uni-halle.de (Abrufdatum: 2.2.2018)

Online-Information der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG): www.dmsg.de (Abrufdatum: 2.2.2018)

Inhaltlich geprüft: M-DE-00003220

*Quelle: www.onmeda.de

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