Manuela T., MS-Angehörige, 45 Jahre
13 Minuten
Veröffentlicht am 02.04.2020 von Manuela T.
Ihr kennt mich ja mittlerweile aus meinen Beiträgen als Angehörige von Alex. Hin und wieder habe ich Euch von meiner chronischen Erkrankung erzählt, habe es aber nie konkretisiert. Heute gebe ich Euch einen kleinen Einblick.
Ich habe meine Diagnose 2006 erhalten. Damals wusste ich weder, was die Krankheit genau ist, noch wusste ich, welche Auswirkungen sie auf mich und meine Umwelt haben und was alles auf mich zukommen würde. Meine chronische Erkrankung nennt sich Endometriose. Die Frauen unter uns haben bestimmt schon mal davon gehört, weil es überwiegend Frauen betrifft.
Kurze Erklärung: Es handelt sich um verschlepptes gebärmutterschleimhautähnliches Gewebe an Stellen im Körper, wo es eigentlich nicht hingehört: an und in der Gebärmutter, aber auch an den Eierstöcken, Eileitern, Bauchfell, im kleinen Becken, an der Blase, am Darm. Im ganzen Körper kann es sich ansiedeln, sogar Lunge, Herz und Hirn kann es betreffen – eben überall, wo Schleimhaut sitzt. Diese entzündlichen Herde treten aktiv und nicht aktiv auf, z. B. als Schokoladenzysten, Verwachsungen, Versprenkelungen und Verklebungen (Organe verwachsen miteinander oder das Gewebe verklebt).
Die Schmerzen äußern sich bei mir in Form eines schlimmen Brennens und dem Gefühl, als schneide jemand mit einem Messer in meinem Bauch herum. Und das tagtäglich und schubweise – mal mehr, mal weniger schlimm. Schmerzmittel helfen nur bedingt.
Und ja, Endometriose bringt – wie die MS – auch Fatigue mit sich. Ich habe oft Tage, an denen ich schrecklich müde bin und nur schlafen könnte. Dann fühle ich mich so, als hätte mich ein LKW überfahren. Ich gehe abends bei Zeiten ins Bett und bin trotzdem völlig im Eimer, wenn ich morgens aufstehe. Ich weiß also wie Alex sich fühlt und kann es nachvollziehen. Wir versuchen uns dafür den nötigen Raum und genügend Ruhe zu geben.
Das Einzige, was Ärzte empfehlen, ist eine Operation und danach die Pille im Langzeitzyklus, da man die Erkrankung hormonell etwas eindämmen kann. Aber dauerhaft ist das keine Lösung, weil nicht jeder auf diese Art von Therapie anspringt. Es kann immer wieder zurückkommen und dann umso schlimmer. Ich hatte bislang vier Operationen und der Kinderwunsch blieb durch die Endometriose unerfüllt. Von den Schmerzen mal ganz abgesehen. Hinzu kommt, dass die Endometriose andere Autoimmunerkrankungen im Schlepptau hat und ganz oft auch in puncto Ernährung „undankbar“ ist: Glutenunverträglichkeit, Laktose- und Histaminintoleranz. Das heißt für mich keine Milchprodukte, kein rotes Fleisch, kein Gluten usw.
Genau wie bei der MS sollte man sehr auf die Ernährung achten und diese dementsprechend umstellen. Das fällt uns ehrlich gesagt schon ein bisschen schwer, es geht auf jeden Fall ein wenig Lebensqualität verloren. Aber wir versuchen es.
So wurde nach der Diagnose nun meine ganze Lebensplanung einfach so über den Haufen geworfen. Aber es hat mich auch stärker gemacht. Wir lassen nie zu, dass all das unser Leben bestimmt. Es geht immer weiter.
So wie mein Leben durchgeschüttelt wurde, so wurde auch Alex‘ Leben durch die MS-Diagnose durchgeschüttelt. Krankenhausaufenthalte, Reha, regelmäßige Arztbesuche, Gesprächstherapie, Dauermedikamente – um nur mal einiges davon zu nennen. Ich weiß, was es bedeutet.
Man muss einfach umdenken, muss akzeptieren was ist, es annehmen und dann den Fokus auf andere Dinge legen. Mir persönlich fiel es anfangs sehr schwer, aber irgendwann kam ein Punkt, wo ich mir sagte: bis hierhin und nicht weiter. Man soll schauen, was einem guttut und wie man sein Leben gestalten kann – auch wenn das von den früheren Vorstellungen abweicht.
Alex hat die Umschulung vom Schreiner zum Sozialarbeiter in Angriff genommen und hat das Studium mit Bravour abgeschlossen. Außerdem hat er sich in dieser Zeit seiner Musik voll gewidmet und mit seinen Liedern vielen MS-Betroffenen Mut gemacht und regelrecht aus der Seele gesprochen. Wie auch mir.
Ich habe mir damals in meiner schweren Zeit eine Hündin zugelegt. Sie wurde ein richtiges Familienmitglied, quasi „mein Kind“. Ich habe sie natürlich nicht wie ein Kind behandelt, sie war immer noch ein Hund, aber sie gehörte fest zur Familie und zu mir. Sie war mein Seelenhund und das Beste, was mir je passiert war. Sie hieß Luna und war eine deutsche Dogge. Eine ganz sanfte, tolle Seele.
Alex und ich haben uns natürlich auch mal Gedanken gemacht, was die Familiengründung betrifft. Sicher hätte er gerne Kinder gehabt, aber ich musste mein Leben, was das betrifft, gezwungenermaßen umkrempeln. Als Alex mir sagte, dass er keine Kinder haben muss und er mich so nimmt, wie ich bin, war ich schon sehr erleichtert. Es fiel mir nicht leicht, das ist schon ein heikles Thema, aber es ist wie es ist. Klar kann man Pflegekinder in Betracht ziehen, wir haben uns aber nicht näher mit dem Thema beschäftigt. Adoption kam aufgrund des Alters nicht mehr in Frage.
Wir haben auch schon über die Zukunft mit der MS geredet. Man kann den Verlauf nicht vorhersehen, doch ein paar Punkte sollte man im Hinterkopf behalten: Zum Beispiel ein Haus, das sich aufs Erdgeschoss beschränkt, weil man nicht weiß, wie es später mit dem Treppensteigen aussehen wird. Was, wenn ein großer Schub kommt und die Gehfähigkeit dadurch eingeschränkt ist? Wer wird im hohen Alter für einen da sein wird? Beispielsweise weil man keine Kinder hat, die sich kümmern könnten, wenn man sich selbst nicht mehr versorgen kann. Das alles sind Themen, die jetzt gerade nicht akut sind. Dennoch sollte man für später vorsorgen.
In all den Jahren unserer Beziehung – bald fünf – haben Alex und ich sehr viel zusammen gestemmt. Auch wenn wir nicht immer einer Meinung waren, haben wir immer wieder einen Weg gefunden – und das macht uns aus! Da wir beide an einer chronischen Erkrankung leiden, ist es manchmal schwierig, den richtigen Abstand voneinander oder auch die richtige Nähe zueinander zu finden. Denn manchmal hat man gute und manchmal eben schlechte Tage, an denen man mit den Symptomen zu kämpfen hat und damit umgehen muss.
Je nach Gemütslage kann man das alles entweder besser oder schlechter wegstecken. Aber im Nachhinein ist man immer froh, wenn jemand da ist und man nicht alleine da steht.
Trotz all der Krankheit gibt es schöne Dinge, die einem helfen, einiges zu verarbeiten. Alex hat sein Ventil in der Musik gefunden. Er schreibt seine Gefühle, sein Innerstes auf Papier und lässt damit alles raus. Musik kann die Seele ein Stück weit heilen.
Ich habe die kreative Seite an mir entdeckt und kann mit „Art Journaling“ meine Gefühle und meine Seele auf Papier bringen. Wenn man seine Gefühle nicht auf andere Weise erklären kann, dann eben so. Und wenn man lernt, auf seinen Körper zu hören, sich auch mal zurückzunehmen und das Positive in den Vordergrund zu rücken, dann hat man schon viel Gutes für sich selbst gewonnen, denn: Das Leben ist ein Spiegel, wenn Du hineinlächelst, lächelt es zurück.
Nicht immer bedeutet eine chronische Erkrankung, ein nicht lebens- und liebenswertes Leben zu führen. Es bedeutet eher, das Beste daraus zu machen und nie aufzugeben. Denn wenn Du heute aufgibst, wirst Du nie wissen, ob Du es vielleicht morgen geschafft hättest.
Eure Manuela
Inhaltlich geprüft: M-DE-00003220
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