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Jennie, MS-Betroffene, 42 Jahre

Erfahrungsberichte

Kreativschub nach schwerem Schub und der Diagnose MS

8 Minuten

Veröffentlicht am 08.08.2019  von  Jennie

Mein ganzes Leben hat mit Kreativität zu tun. Meine Arbeit, meine Hobbys, meine Leidenschaften; mein ganzes Sein und Tun dreht sich ums Kreativsein. Dazu brauche ich gute Augen und eine gute Koordination der Hände – besonders der rechten Hand.

Hallo MS, Kreativsein ade?

Bis Ende 2012 lief alles gut. Ich hatte keine Ahnung von meiner MS, die ich wohl schon länger hatte, aber sich bis dahin nur dezent äußerte und unerkannt blieb. Dann plötzlich von einem Tag auf den anderen: immer schwerere Sehstörungen, Koordinations- und Gleichgewichtsprobleme, kognitive Ausfälle, Gangstörungen, Missempfindungen, Schwindel, Taubheitsgefühle und stündlich wurde alles schlimmer. An Arbeit war nicht mehr zu denken. Es folgte ein Neurologen-Marathon, MRTs, Krankenhausaufenthalt mit Kortison-Stoßtherapie.

Es blieb viel Zeit zum Grübeln – und der Zweifel und die Frage, ob ich wohl jemals wieder meinen kreativen Leidenschaften und meinem Beruf nachgehen könnte?!

An Zeichnen, Malen, Fotografieren, Airbrushen, Basteln, Schnitzen, Gestalten, Illustrieren, Aquarellieren war nicht mehr zu denken. Das Sehen war auf beiden Augen so schlecht geworden, dass ich nur noch Hell-Dunkel-Kontraste sehen konnte und mein Sehfeld auf einen winzigen, unscharfen Punkt geschrumpft war. Um mir zu beweisen, dass ich trotzdem noch irgendwas (er)schaffen kann (und um mich mit irgendwas zu beschäftigen), habe ich noch im Krankenhaus angefangen, eine Handpuppe zu nähen. Da ich noch ein wenig den Faden erahnen und den Stoff ertasten konnte, ging das irgendwie – mühsam und langsam, aber ich hatte immerhin noch eine Möglichkeit gefunden, meine Kreativität herauszulassen. Aber nur Stofftiere nähen, ist nun nicht unbedingt meine künstlerische Erfüllung. Das war aber immerhin etwas und besser als Nichtstun.

MS künstlerisch aufbereitet – statt staubtrocken

Sobald ich wieder zu Hause war und sich, zum Glück, das Sehen etwas gebessert hatte, fing ich an, die MS zeichnerisch zu verarbeiten. Zunächst waren es nur einzelne Comicseiten über die Diagnose, die Tage im Krankenhaus, das „Tal der Tränen“ und die Gedanken, die im Kopf rotierten. Als ich dann auch wieder Texte entziffern konnte, habe ich mich über alles Aufklärungsmaterial hergemacht, dass ich finden konnte (hauptsächlich Broschüren und Magazine, die ich von der DMSG und meinem Neurologen bekommen habe). Allen gemein war, dass ich die Texte sehr trocken und wenig anschaulich fand. Nur weil ich selbst betroffen war, keine Ahnung hatte und mehr erfahren wollte, habe ich mich durch die Texte gequält. Ich konnte verstehen, warum sich, auch in meinem direkten Umfeld, niemand mit dem Aufklärungsmaterial näher befassen wollte.

Meine Comicseiten über MS wurden immer mehr und schon bald wuchs die Idee und es wurde ein starkes Anliegen, ein etwas leichter verdauliches und anschaulicheres Aufklärungsmaterial zu schaffen. Etwas, das auf unkompliziertere und weniger trockene Art die MS erklärt. Etwas, das auch Nicht-Betroffene interessieren würde und zum besseren Verständnis der Krankheit beitragen könnte.

Trotz MS kreativer denn je!

Je mehr mein schwerer Schub abgeklungen war, umso stärker wurde mein Kreativschub. Und umso mehr konnte und wollte ich wieder machen: von A (wie Airbrush) bis Z (wie Zeichnen) habe ich mich wieder an die Arbeit gemacht. Autofahren und Auftragsarbeiten für Kunden waren noch nicht möglich, aber zu Hause malen und zeichnen, auf Spaziergängen fotografieren (dank gutem Autofokus der Kamera) war wieder machbar.

Mein weiteres kreatives Leben und die weitere Berufstätigkeit waren kein zerplatzter Traum mehr, sondern in absehbarer Zeit anscheinend wieder möglich.

Bis dahin habe ich weiter an meinem Aufklärungscomic gearbeitet und alles Wissenswerte, von der Diagnose über häufige Symptome, verschiedene Verlaufsformen, mögliche Ursachen und Therapieformen zusammentragen und bildlich dargestellt. Obwohl die MS eine „unsichtbare Krankheit“ ist, kann man sehen, wie es ist, diese Krankheit „am Hals zu haben“: Sie ist immer dabei, stört, nervt, mischt sich ein; man versucht sie loszuwerden, aber man muss mit ihr Leben lernen und sich mit ihr arrangieren.

Herausgekommen, und bei JoyEdition verlegt, ist der gebundene Erklärcomic „Leben mit MS“ mit ca. 50 Seiten und etwa 200 Einzelbildern.

Erster Teil des Comics über die Diagnose MS

Zweiter Teil des Comics über die Diagnose MS

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