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Steffi H., MS-Betroffene, 53 Jahre

Erfahrungsberichte

Corona, Gewohnheiten und Weihnachten – mein Jahr 2020

14 Minuten

Veröffentlicht am 14.01.2021  von  Steffi H.

Ausgesucht hatte ich mir das Thema „Die Sache mit dem Weihnachtsbaum“ schon im letzten Jahr um fast die gleiche Zeit. Es sollte darum gehen, dass ich – und vermutlich sehr viele Menschen – oftmals bestimmte Dinge einfach machen, weil man sie halt schon immer so gemacht hat und man gar nicht mehr hinterfragt, ob das so gut und richtig ist.

Die Themenauswahl deshalb, weil man in Punkto Weihnachtsdeko auf- und abbauen nach mir die Uhr stellen konnte. Das wurde mir im letzten Jahr so richtig bewusst. Und schon war die Idee geboren, doch darüber einmal zu bloggen und so vielleicht den einen oder anderen dazu zu bewegen, alte Gewohnheiten wenigstens zu hinterfragen und im besten Fall vielleicht sogar zu ändern oder ganz über Bord zu werfen.

Dann kam 2020 und alles war anders

Ich brauchte mich gar nicht mehr damit zu beschäftigen, wie meine Rituale und Gewohnheiten zur Weihnachtszeit sind und ob diese sinnvoll sind. Das Jahr 2020 hat uns allen auf sehr nachhaltige Weise vor Augen geführt, dass von einem auf den anderen Moment alles ad absurdum geführt werden kann. Es geht plötzlich gar nicht mehr darum, ob ich nun meine Weihnachtsdeko samt Baum pünktlich am 01. Januar eines neuen Jahres mehr oder weniger aus einem inneren Zwang heraus verschwinden lasse. Plötzlich habe ich gar keine Wahlmöglichkeit mehr, ob ich dem inneren Drang, Gewohnheiten nachzugeben, folgen möchte oder nicht. Da war das mit dem Weihnachtsbaum das geringste Problem.

Was war passiert?!

Plötzlich wird erst China, dann Ischgl, dann eine Firma in Deutschland, dann ganz Deutschland, Europa und schlussendlich die ganze Welt von einem komisch aussehenden, stacheligen Virus außer Gefecht gesetzt. Da tauchten in unserem Sprachgebrauch plötzlich so Dinge wie Lockdown, Ausgangsbeschränkungen, Kontaktbeschränkungen sowie Maskenpflicht auf und die Jagd nach den sogenannten Behelfs- und Alltagsmasken schloss sich nahtlos an die plötzlich erforderliche Jagd nach Klopapier, Nudeln, Mehl und Hefe an.

Ein Leben im Hamsterrad

Dieses kleine, fiese, stachelige Ding Namens SARS-CoV-2 – umgangssprachlich Corona – machte mir anfangs eine gehörige Portion Angst. Ich hatte mir gerade am Jahreswechsel viele Gedanken um meine teils doch recht eingefahrenen Gewohnheiten gemacht, hatte mir vorgenommen, diese zu hinterfragen und wenn nötig und möglich zu verändern.

Es braucht Rituale und Gewohnheiten, um sich sicher zu fühlen, aber diese so gewonnene Sicherheit wird zum Hindernis, wenn man sich auf ihr ausruht. Es ist nötig (und möglich), aus dieser Sicherheit heraus in winzigen Schritten Veränderungen herbeizuführen, die es letztlich möglich machen, aus dem Tief heraus zu finden.

MS-Betroffene Steffi H. mit Weihnachtsbaum

Distanz als wichtigste Grundregel

Plötzlich war also 2020 da und nichts mehr so, wie gewohnt. Es wurde nebensächlich, ob und wann ich mein Weihnachtsgedöns hin und her räume. Hier war plötzlich eine Bedrohung, die existenziell war! So etwas macht Angst, egal ob man von Haus aus ängstlich ist oder nicht.

Mir machten nicht die verordneten Regeln des Lockdowns Probleme. Ich gehe nicht oft feiern, bin keine Shoppingqueen und koche oder backe lieber selbst, als in Gaststätten zu gehen. Von daher waren das meine geringsten Probleme. Was mir mehr Angst und Sorgen gemacht hat, war die Distanzlosigkeit mancher Zeitgenossen. Ich mag es eh nicht gerne, wenn mir jemand ungefragt zu nahe kommt und mich einengt.

Ein positiver Effekt: Homeoffice

Der tägliche Weg zur Arbeit ging eigentlich immer – trotzdem war da die Ungewissheit, ob man sich nicht vielleicht auch dort das Virus einfangen könnte. Diese Sorge wurde mir als zur Risikogruppe gehörende Person recht schnell genommen, indem mein Arbeitgeber mich ins Homeoffice schickte. Dort bin ich nun seit Ende März und was soll ich sagen: Es passt zu mir wie die Faust aufs Auge.

Hier wurde quasi ein ganz geheimer und immer nach hinten verschobener Wunsch dank Corona zur Realität: In meinem Tempo arbeiten zu können, mit ganz viel Ruhe und ohne täglich das Haus verlassen zu müssen. Ich kann natürlich ins Büro kommen – aber ich muss nicht bzw. kann die Zeiten selbst bestimmen und das ist in meinen Augen der pure Luxus.

Körperliche Bewegung: Yoga und Spaziergänge

Manche Gewohnheiten, wie zweimal wöchentlich ins Fitnessstudio zu gehen, hatte ich mir recht mühsam angeeignet. Das war oftmals ein Kampf mit mir selbst und nicht selten war ich froh, wenn ich eine (für mich vertretbare) Ausrede gefunden hatte, um nur einmal in der Woche dort mein Training zu absolvieren. Jetzt ging plötzlich gar nichts mehr, ich brauchte kein schlechtes Gewissen zu haben und trotzdem fühlte sich das falsch an.

Genauso wie meine geliebte Yogastunde, die plötzlich nicht mehr stattfinden konnte. Ich kann gar nicht beschreiben, wie glücklich es mich macht, dass wir das Jahr 2020 haben und ich in einer Gegend in Deutschland lebe, in der schnelles Internet keine utopische Spinnerei sondern Realität ist.

Dazu kommt, dass meine Yogalehrerin Gott sei Dank auch internetaffin ist und ruckzuck ihre Komfortzone zugunsten einer nun online stattfindenden Yogapraxis an die Gegebenheiten angepasst hat. Nun muss ich nicht einmal mehr das Haus verlassen und kann sogar den Luxus genießen, dass ich die jeweilige Session auch an einem für mich günstigeren Termin nachholen oder wiederholen kann, wenn es denn doch mal gerade nicht passt.

Plötzlich wurden Spaziergänge oder kleinere Radtouren der neue Urlaub und brachten die engere Familie dazu, bisher eher stiefmütterlich behandelte Aktivitäten als sehr schön und gewinnbringend anzusehen.

MS-Betroffene Steffi H. mit Alltags-Maske

Entschleunigung vs. Einschränkung und Einsamkeit

Aus meiner Sicht hat Corona neben seinen ganzen Einschränkungen, die wir alle mehr oder weniger zu spüren bekommen haben, durchaus auch das eine oder andere Gute. Zumindest habe ich das so empfunden. Wer meine bisherigen Beiträge gelesen hat weiß, dass mein größtes Thema die Entschleunigung ist. Nie war es so einfach für mich zu entschleunigen, wie in Zeiten eines staatlich verordneten Lockdowns.

Was ich als unangenehm und traurig empfunden habe, war der Umstand, dass wir auch unsere Selbsthilfegruppentreffen nicht mehr real stattfinden lassen konnten. Doch wir wollten das Beste aus der Situation machen und kamen daher recht bald auf den Gedanken, unsere Gruppentreffen virtuell stattfinden zu lassen

Ich habe auch ohne die Gruppentreffen genügend Ansprache und komme ganz gut zurecht, aber die Menschen, denen so ein Lockdown noch mehr Einschränkung und Einsamkeit beschert, haben es verdient, dass Möglichkeiten geschaffen werden, sich trotzdem dazugehörig zu fühlen. Die Möglichkeit der Online-Treffen wurde dankend angenommen und es erfüllt mich im Nachhinein mit einem guten Gefühl, wenn ich daran denke.

Weniger Egoismus – mehr Rücksichtnahme

Mittlerweile habe ich in meinem Freundeskreis auch mindestens einen Todesfall zu beklagen, der möglicherweise im Zusammenhang mit Corona steht.

Ich finde es auch nicht besonders angenehm, dass die Unbeschwertheit aus meinem Leben zu einem großen Teil zumindest zeitweise verbannt werden musste. Trotzdem denke ich, dass es richtig war und ist, dass wir alle unseren Anspruch auf alle Freiheiten und Annehmlichkeiten dieser Welt ein kleines Weilchen hinten anstellen. Im besten Fall überdenken wir sogar, ob wir wirklich einen Anspruch darauf haben, immer und jederzeit ohne Rücksicht auf Verluste alles ausleben zu müssen, was uns gerade in den Kopf kommt. Zugunsten all derer, die durch COVID-19 besonders gefährdet sind und ein erhöhtes Risiko für einen schweren oder lebensbedrohlichen Verlauf haben.

Hoffnung auf ein besseres 2021

Einerseits war dieses Jahr alles andere als gewöhnlich und ich hoffe so sehr, dass es im neuen Jahr eine Lösung geben wird, mit der wir alle besser leben können. Manche Gewohnheiten, die zwangsläufig über Bord geworfen werden mussten, sollten wir vielleicht auch genau dort lassen.

Andere Dinge, die wir neu (wieder) entdeckt haben, könnten wir vielleicht beibehalten weil sie durchaus bereichernd sind.

Ich wünsche uns allen, dass wir gut durch diese ungewöhnlichen Zeiten kommen und nach Möglichkeit weitestgehend gesund bleiben!

Bis dahin

Eure Steffi

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