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Heike, MS-Betroffene, 56 Jahre

Erfahrungsberichte

Kultur am Meer: Unsere Reise nach Barcelona im Juni 2017

17 Minuten

Veröffentlicht am 15.09.2017  von  Heike

Das Fernweh packte mich mit 18 Jahren. Aber wohin konnte damals eine Reise schon gehen? Nach Süden? Das ging höchstens bis Bulgarien. Nach Westen? Eine Mauer. Nach Norden? Bewaffnete Schnellboote. Es bleibt noch der Osten.

Meine Reiselust

Also wurde ich in den Ferien Reiseleiterin und sah mir das schöne Bulgarien und Moskau an, den Kaukasus, Jerewan (mit einem Springbrunnen ähnlich dem in Barcelona), Hanoi und Saigon. Ich zählte nicht zum Personenkreis, der das kapitalistische Ausland bereisen durfte.

Dann fiel die Mauer.

Keine Beschränkungen mehr! Im Jahr darauf fuhr ich nach Israel und erfüllte mir einen Traum, von dem ich nie gedacht hätte, dass er wahr werden könnte.

2013 die Diagnose: PPMS. Eine neue Mauer? Andere Schnellboote? Der Kampf um jeden Meter Leben ging weiter. Schließlich war das Fernweh noch da.

Auswahl des Urlaubsorts und Vorbereitung der Reise

Ein langjähriger Freund unserer Familie, Udo, fragte mich zu Beginn dieses Jahres, ob ich mit ihm im Sommer verreisen möchte. So begannen Urlaubsträume in mir zu reifen und ich wollte am liebsten „alles“ – also Stadt und Meer.

Doch dann kam Unsicherheit auf: Wäre dies mit den Einschränkungen der MS überhaupt noch möglich? Oder sollte ich lieber ein kleines Hotel irgendwo am Meer wählen, von dem aus per Leihwagen Sehenswürdigkeiten angefahren werden können? Dann las ich die Antwort auf dem Zettel an meinem Schlafzimmerschrank mit dem Zitat von Nina Ruge „Wo die Angst ist, geht es lang.“

„Wer immer tut, was er schon kann, bleibt immer das, was er schon ist.“ Henry Ford

Also, auf zu neuen Ufern!

Und so begann ich, jeden Abend ein Stück zu laufen. Am anstrengendsten war es, sich die Treppen hinauf- und hinunterzubewegen. Aber ich hatte ja ein Ziel vor den Augen.

Im Frühling begann ich, alle Urlaubsangebote genauer zu studieren. Ich hatte auch Lust auf eine Insel zu fliegen, doch entschied mich zum Glück für Barcelona und suchte Hotel und Flug aus.

Während dieser Zeit schloss meine Tochter Mathilde ihre Abschlussprüfung zur Kauffrau für Versicherung und Finanzen mit gutem Ergebnis ab. Ich war sehr stolz auf sie und schenkte ihr diese Reise. So kam es, dass es kein Zurück mehr gab. Die Reise wurde für drei Personen gebucht und konnte beginnen.

Unsere Erlebnisse in der Stadt der Superlative

Nach der Ankunft in Barcelona fuhren wir zunächst mit dem Taxi in unser Hotel. Zuerst sahen wir uns den Swimmingpool auf dem Hoteldach an. War das schön: Baden mit Blick über das Häusermeer. In der Bar stießen wir erst einmal auf den Urlaub an.

Nachdem wir unterwegs noch etwas gegessen hatten, war an diesem Abend der Font Magica, katalanisch für „magischer Brunnen“, das Ziel. Die Wasserspiele mit Musik dauerten etwa eine Stunde. Welche Wassermassen bewegt wurden! Ständig entstanden neue Kunstwerke durch die verschiedenen Düsen und sie wurden durch viele Scheinwerfer ständig neu beleuchtet und damit in ein Farbenmeer getaucht. Da eine große Menschenmasse unterwegs war, suchten wir uns abseits einen Sitzplatz für das Spektakel. Später löste sich die Menschenmenge etwas auf und wir konnten nah an den Brunnen herangehen. Dort waren wir in der Lage, die Lichtspiele mit den Wassermassen und der Musik, die wir abseits gar nicht gehört hatten, völlig anders zu genießen. Schon wegen dieses Ereignisses hat sich Barcelona gelohnt.

Am nächsten Tag wurde ich wieder überrascht. Auf unserem Programm stand die Sagrada Familia und später Baden im Mittelmeer.

Es war nicht die erste Basilika, die ich im Leben zu sehen bekam, aber mit Abstand die beeindruckendste. Und das, obwohl sie noch nicht einmal fertig gebaut war. Den Eindruck, den ich beim Betreten des Innenraumes hatte, kann ich kaum mit Worten beschreiben. Säulen wuchsen wie Bäume in die Höhe und an der Decke war ein Blätterdach! Alles hell und jedes Detail liebevoll ausgearbeitet. Ich könnte eine ganz eigene Geschichte über die noch unvollendete Sagrada Familia schreiben, aber an dieser Stelle breche ich ab und empfehle architekturinteressierten Lesern, sich unbedingt mit Antoni Gaudi zu beschäftigen.

Die Spuren des Architekten Gaudi sind mehrfach in der Stadt zu sehen. Neben der bereits erwähnten Sagrada Familia schauten wir uns noch den Park Güell an. Durch die bunte Bruchkeramik fühlte ich mich stark an die mir bekannten Bauwerke des von mir bewunderten Friedensreich Hundertwasser erinnert, der erst wenige Zeit vor dem Tod von Gaudi geboren wurde. Die bunten Bauwerke von Hundertwasser fand ich schon immer faszinierend.

Heike im Stadion des FC Barcelona

Heike und ihre Tochter in Barcelona

In ewiger Erinnerung bleiben wird mir auch der Besuch des Stadions des FC Barcelona, Camp Nou. Ich bin kein großer Fußballfan, aber die Größe beeindruckte schon sehr. Es ist das größte Stadion Europas. Bei der Besichtigung staunten wir nicht nur über die vielen Sitzplätze im Stadion, von denen man einen guten Blick auf das Spielfeld hat, sondern auch über die Größe der zahlreichen Pokale und wir konnten uns davor fotografieren. Wir waren in den Pressekabinen, den Umkleideräumen – kurzum, wir sahen uns alles an und aufgrund meines Sturzes lernten wir leider auch einen Arzt des Fußballvereins und die Behandlungsräume der Spieler kennen. Aber dazu später.

Ich könnte noch sehr viel mehr über diese und andere Sehenswürdigkeiten schreiben. Aber ich möchte hier über meine besondere Problematik des Reisens mit MS berichten.

Am Nachmittag ging es oft zum Strand

Der Strand ist, wie in vielen anderen Orten auch, in verschiedene Abschnitte eingeteilt. Dort versuchten Menschen aus Afrika oder Asien, verschiedene Waren oder Dienstleistungen zu verkaufen wie etwa Getränke, Strandlaken oder Massagen. Es wurde mir erklärt, diese Leute müssten den Schleppern die Überfahrt nach Spanien abarbeiten. Natürlich war dies illegal und so kommt es wohl regelmäßig zu Razzien am Strand. Für uns bedeutete dies: Die Sachen nicht beim gemeinsamen Baden unbeaufsichtigt lassen.

Hindernisse im Urlaub

Es tat mir sehr leid, dass meine Begleitung wegen mir immer so langsam laufen musste. Ich weiß, dass langsames Laufen für Gesunde anstrengender ist als zügiges Laufen.

Aber auch für mich war das Laufen und Stehen sehr anstrengend. Ich muss mich beim Laufen immer auf die Bewegung konzentrieren und nach unten schauen. Sonst besteht die Gefahr, dass ich über kleinste Hindernisse stolpere und hinfalle.

Dadurch konnte ich die Umgebung nicht so wahrnehmen wie Udo und Mathilde. Ich trottete also meist hinter ihnen her und rief, wenn ich Unterstützung, eine Pause oder etwas anderes brauchte. So kam es, dass ich noch ganz orientierungslos war, als sich die beiden schon gut zurechtfanden. Meine Tochter meinte zwischendurch sogar einmal: „Das nächste Mal nehmen wir wieder den Rollstuhl mit, dann kann ich Dich schieben.“ Das lasse ich mir vor dem nächsten Urlaub noch durch den Kopf gehen.

Die hilfsbereiten Spanier

Sobald ich die Metro mit dem Gehstock betrat, standen jüngere Leute auf. In Deutschland erlebe ich das nicht immer. Auch wenn ich eine Toilette suchte, zeigten mir die Kellner und Kellnerinnen in den Gaststätten stets freundlich den Weg. Auch dies erlebe ich hierzulande immer seltener. In Barcelona schickte man mich nur einmal weg – und das war im Konsulat der Bundesrepublik Deutschland!

Ich stürzte im Urlaub zweimal, einmal am Strand und einmal im Fußballstadion. Im Stadion wollte ich einmal nur kurz schauen, wohin die beiden anderen liefen. Dabei übersah ich einen kleinen Absatz, über den auch andere stolperten. Ich fiel natürlich hin und sofort waren zwei Personen vom Aufsichtspersonal da, die mir einen Stuhl brachten und mich aufforderten zu warten. Dann kam ein scheinbar sehr wichtiger Herr in Uniform, der mich in Augenschein nahm. Er sagte mir, ich sollte weiter warten. Ein Spanisch oder Katalanisch sprechender Arzt kam, der schaute, ob ich mir etwas gebrochen hätte. Er nahm uns mit in sein Sprechzimmer und wollte mich ins Krankenhaus zum Röntgen schicken. Nachdem ich dies abgelehnt hatte, verfasste er etwas, was ich unterschreiben sollte. Schließlich galt es zu verhindern, dass ich den FC Barcelona um Schadensersatz verklage, weil eine kleine Stufe nicht mit Signalfarbe gekennzeichnet war!

Auf dem Flughafen verstaute ich beim Hinflug meinen Stock in den Koffer, weil ich dachte, er müsse so verpackt werden. Dadurch fiel mir das Laufen auf dem glatten Boden sehr schwer. Ich hatte gelernt, dass dies nicht nötig ist. Auf dem Rückflug nahm ich ihn griffbereit mit ins Flugzeug.

Mathilde nahm am Flughafen stets beide Koffer und meinte, dies wäre besser, als wenn ich wieder hinfallen würde. So sehr mich ihr umsichtiges Verhalten freute, so tat es mir als Mutter auch etwas weh. Hilfe anzunehmen, ist für mich schwieriger, als Hilfe zu geben. Vielleicht ist für das Annehmen von Hilfe die MS für mich notwendig gewesen.

Mein Fazit nach der Reise

Barcelona ist eine Stadt der Superlative mit sehr vielen Facetten und auf jeden Fall sehenswert. Der Urlaub brachte mir sehr schöne Erlebnisse und erweiterte meinen Bildungshorizont. Er war aber auch sehr anstrengend für mich. Ich hätte nach dem Urlaub noch Zeit zur Erholung vom Urlaub benötigt. Dies werde ich das nächste Mal unbedingt bei der Urlaubsplanung berücksichtigen. Vielleicht werde ich auch einen vorgeplanten Urlaub buchen, um es einfacher zu haben. Wer weiß?

Inhaltlich geprüft: M-DE-00003220

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