Ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern, als ich ein Teenager war. Damals war die Vorstellung, dass es ein Leben jenseits der 30 geben soll, geradezu utopisch! Mein Ex-Mann war so freundlich, mich an meinem 25. Geburtstag mit den Worten zu beglücken: „Jetzt gehst du auf die 30 zu“. Er war 20 Jahre älter als ich und fand das sicher lustig. Das führte jedoch dazu, dass ich von dem Moment an bei dem Gedanken, ich könnte 30 werden, geradezu panisch wurde.
Bei dem Gedanken an meinen 30. Geburtstag wurde ich panisch.
In wenigen Wochen werde ich zarte 53 – das spricht sehr dafür, dass ich nicht nur ohne weiteres 30 geworden bin, sondern auch noch 40 und über 50. Es tat und tut nicht weh, älter zu werden. Doch heute erschrecke ich mich manchmal ganz furchtbar, wenn ich im Fernsehen Menschen sehe und darunter lese „Lieschen Müller, 49 Jahre alt“ und dann steht da jemand, den ich persönlich viel älter geschätzt hätte – in jedem Fall älter als mich.
Vielleicht liegt das daran, dass ich mich nicht wie 53 fühle, dass diese Zahl im Laufe der Zeit eben einfach nur noch eine Zahl ist. Mental bin ich irgendwo zwischen Mitte 30 und Mitte 40 stehen geblieben und das ist gut so! Ich mache mir heute weit weniger Gedanken darüber, wie alt ich bin. Wenn ich gefragt werde, muss ich tatsächlich fast immer erst einmal schnell nachrechnen. Ok, dass ich die 50 überschritten habe, weiß ich auch ohne zu rechnen, aber ob da nun zwei oder drei Jahre dazugekommen sind, spielt keine Rolle.
Als ich am 28.10.2011 die Diagnose MS bekam, war ich eine Woche vorher 45 Jahre alt geworden. Ich fühlte mich viel zu jung, um mich mit der Krankheit auseinandersetzen zu müssen. Prinzipiell fühlte ich mich zu jung, um mich mit irgendeiner Krankheit auseinandersetzen zu müssen!
Als ich die Diagnose MS bekam, war ich 45 Jahre alt.
Ich war voll in der Mitte meines Lebens. War immer und überall ganz vorne mit dabei. Egal, ob es darum ging, im Fitnessstudio alles zu geben, mit Kollegen Badminton zu spielen oder Nordic Walking über einen vom Arbeitgeber angebotenen Kurs der AOK kennen und lieben zu lernen – ich war überall zu finden. Vollzeit berufstätig, Mama einer kleinen Tochter – trotzdem konnte mich niemand bremsen, auch beim nächsten Projekt dabei zu sein und Überstunden zu machen. Für mich war damals die Frage „Geht das alles?“ keine Option, sondern alles nur eine Frage der Organisation.
Klar, gab es die eine oder andere Situation, in der ich an meine Grenzen kam, aber zu der Zeit waren Grenzen für mich lediglich die Aufforderung, selbige zu überschreiten.
Wie schon gesagt, rein mental bin ich weit hinter der Zahl, die da mit mir in Verbindung gebracht wird, aber mittlerweile gibt es durchaus Momente, in denen ich ins Grübeln komme. Langsam, bin ich zu dem Punkt gekommen, an dem ich nicht mehr unterscheiden kann, ob die (oftmals vermeintlichen) „Problemchen“ nun zur MS gehören oder ob sie einfach daran liegen, dass auch ich nicht jünger werde und so langsam lernen muss, mit dem einen oder anderen Zipperlein zurechtzukommen.
Ich habe null Probleme damit, für mich zu akzeptieren, dass „meine“ Zeit in Sachen Minirock und kurze Shorts vorbei ist. Das liegt unter anderem auch an der Tatsache, dass ich realistisch genug bin, um zu sehen, dass ich heute nicht mehr den Körper einer 20-Jährigen habe, sondern dank einiger Kortisongaben und nicht zuletzt der Gene meiner Eltern, mittlerweile zu den „Dicken“ dieser Gesellschaft gehöre. Ich fühle mich nicht dick, aber Fakt ist, dass uns allen eine Konfektionsgröße jenseits der Größe 40 als „Plus-Size“ verkauft wird. Mit der Zeit habe ich gelernt, einfach das Größenschild aus den Sachen zu schneiden und schon ist das kein (mentales) Problem mehr. Außerdem kann ich mich auch in meiner Größe nach Lust und Laune sportlich, schick oder elegant anziehen.
Auf körperlicher Ebene ist es nicht ganz so einfach, mein Ego zu überlisten. Dinge wie ...
Das und noch einiges mehr lässt mich, mich hin und wieder fragen, ob das jetzt einfach zum Älterwerden dazugehört oder ob es daran liegt, dass ich diese lebenslange „MS“ an meiner Seite habe. Oder ob aufgrund dieser Prozesse einfach eher in Gang gesetzt wird.
Diese Unterscheidung bereitet mir auch bei meinen regelmäßigen Arztbesuchen so meine Schwierigkeiten. Ich bin mein Leben lang ein Verfechter von ehrlichen Antworten gewesen – aber was soll ich antworten, wenn mein Neurologe, der alles, was mit der MS zusammenhängt für mich im Auge behalten soll, fragt: „Wie geht es Ihnen denn heute und überhaupt?“.
Also passiert es sehr oft, dass mir all diese Gedanken durch den Kopf gehen und ich letztlich antworte: „Mir geht es gut“. Denn auch folgende Gedanken kommen mir in diesen Sekunden in den Sinn:
Das Leben ist schön – von einfach war nie die Rede!
Ja – es geht mir (meistens) gut und oftmals ist ein „Gedankentausch“, wie er in einem meiner Lieblingsbücher beschrieben wird, eine wunderbare Gelegenheit, manche Dinge nicht zu ernst zu nehmen und am Ende des Tages festzustellen: Es ist egal, ob das eine oder andere Zipperlein, was mich heute geärgert hat, von der MS oder vom Älterwerden kam – es ist ok, so wie es ist!
Manchmal ist es sehr hilfreich, sich daran zu erinnern, dass das Leben schön ist – von einfach war nie die Rede!
In diesem Sinne, lasst Euch nicht unterkriegen – bis denne
Eure Steffi
In Zwischenablage kopiert
Mit einem Benutzerkonto hast Du die Möglichkeit, Dein Profil individuell zu gestalten. Lege Deine persönliche Themenauswahl fest und Dir werden auf Dich zugeschnittene Beiträge vorgeschlagen. Setze Lesezeichen, wenn Du Beiträge speichern möchtest.
Mit einem Benutzerkonto hast Du die Möglichkeit, Dein Profil individuell zu gestalten. Lege Deine persönliche Themenauswahl fest und Dir werden auf Dich zugeschnittene Beiträge vorgeschlagen. Setze Lesezeichen, wenn Du Beiträge speichern möchtest.