6 Minuten
Veröffentlicht am 15.09.2021 von Heike
Segler:innen richten sich bei allem nach dem Wind, Menschen mit MS nach ihrer Gesundheit. Sie müssen nach ihrer Diagnose die Segel für den Lebensweg neu ausrichten. Und auch während Fahrt gilt es, durch ständiges Anpassen der Segel flexibel zu bleiben auf der Reise.
Als Kind hörte ich von meinem Vater, einem passionierten Segler, oft den Spruch: „Segeln heißt, auf unbequeme Art langsam zu reisen.“ Beim Schreiben meines Buches über das Leben mit MS habe ich mein eigenes Leben reflektiert und mich darin wiedererkannt: In meiner Jugend hatte ich den Bootsführerschein für Motorboote erworben, aber den Kurs für den Segelschein wollte ich damals nicht weiter belegen. Nun ist mein Leben mit MS jetzt auch so unbequem geworden. Alle Dinge kann ich nur noch langsam erledigen. Manchmal komme ich mir dann vor wie eine Schildkröte. Die Leichtigkeit im Leben fehlt leider.
Aristoteles hat den Spruch geprägt. „Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen.“
Es gibt aber noch weitere Gemeinsamkeiten zwischen einem Segeltörn und dem Leben mit MS: Man reist manchmal echt am Limit und kann wenig planen, denn die Stürme sind wie Schübe oder Verschlechterungen des Gesundheitszustandes nicht immer kalkulierbar. Die Herausforderungen auf der Reise sind unvorhersehbar, die Entwicklung der sichtbaren und unsichtbaren Symptome bei der MS ebenso.
Manchmal geht es schnell voran, andermal kommt man kaum vorwärts. Wenn man schnell vorwärtskommt, macht alles Spaß und die unbequemen Stunden sind dann vergessen. Wenn es einmal gar nicht vorangeht, werden mitunter auch technische Hilfsmittel benötigt. Diese zu benutzen ist zwar manchmal mühsam und mit Hemmungen verbunden, weil man es vielleicht lieber nur durch die eigenen Fähigkeiten geschafft hätte – aber es ist auf jeden Fall besser als Stillstand. Auch das Anlegen an unbekannten Orten ist oft mit Herausforderungen verbunden. Wenn die örtlichen Gegebenheiten unbekannt sind, kann das Menschen mit MS vor Schwierigkeiten stellen, die es zu bewältigen gilt – z. B. ganz praktisch gedacht: bei MS-bedingten Blasenstörungen ist es wichtig zu wissen, wo sich die nächsten Toiletten befinden.
Es gibt den Spruch „Auf hoher See liegt alles in Gottes Hand.“ Bei meinem Leben mit MS ist es ebenso: man hat nicht immer Einfluss auf seine Reise – ob man an den lieben Gott glaubt, an das Universum oder in eine andere Macht vertraut. Segler:innen helfen sich gegenseitig genauso wie MS-Betroffene. Sie verstehen sich oft ohne große Worte, weil sie ja die Probleme vielleicht selbst kennen.
Wenn ein neues Boot im Hafen ankommt, helfen die anderen Menschen meist wie selbstverständlich, falls es Schwierigkeiten gibt. Kommt eine Person, die erst kürzlich die MS-Diagnose erhalten hat, in eine MS-Community oder eine Selbsthilfegruppe dazu, stehen die anderen Mitglieder mit Rat und Tat zur Seite. Sie sind eben alles Menschen, die nicht auf dem Mainstream unterwegs sind, nicht den üblichen Weg gehen. Es gibt dennoch einen Unterschied zwischen beiden: Auf den Segeltörn begibt man sich meist freiwillig, auf die Reise mit MS allerdings nicht.
Wenn Ihr mehr erfahren möchtet – zum Beispiel über meine Beziehung zum Wasser, werft doch mal einen Blick in mein Buch „Auf ins neue Leben. Mit MS auf neuem Kurs“.
Liebe Grüße
Eure Heike
In Zwischenablage kopiert
Mit einem Benutzerkonto hast Du die Möglichkeit, Dein Profil individuell zu gestalten. Lege Deine persönliche Themenauswahl fest und Dir werden auf Dich zugeschnittene Beiträge vorgeschlagen. Setze Lesezeichen, wenn Du Beiträge speichern möchtest.
Mit einem Benutzerkonto hast Du die Möglichkeit, Dein Profil individuell zu gestalten. Lege Deine persönliche Themenauswahl fest und Dir werden auf Dich zugeschnittene Beiträge vorgeschlagen. Setze Lesezeichen, wenn Du Beiträge speichern möchtest.