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Therapie & Medikamente

Kann ein Herzmedikament auch MS aufhalten?

7 Minuten

Veröffentlicht am 22.08.2018  von  Onmeda

Viele Forschungsansätze haben als Ziel, das bei der multiplen Sklerose geschädigte Myelin wieder zu reparieren. Eine neue Studie zeigt, wie ein Wirkstoff, der gegen Herzerkrankungen eingesetzt wird, auch bei MS helfen könnte: Er regt die Myelin-Bildung an.

rotes Papierherz vor gelbem Pulli

Bei Menschen mit multipler Sklerose (MS) nimmt das Myelin Schaden, welches als Schutzschicht die Nervenfaser umhüllt. Weltweit arbeiten Forscher daran, diese lädierte Isolierschicht wieder herzustellen. Remyelinisierung nennt man diesen Prozess. Ein wichtiger Helfer dabei könnte eine Arznei sein, die ursprünglich zur Behandlung von Herzerkrankungen entwickelt wurde und dort bis heute angewendet wird.

Der Wirkstoff eigne sich möglicherweise auch zur Therapie der multiplen Sklerose, berichten Wissenschaftler der Universitäten Bonn und Cincinnati (USA). Allerdings haben sie das Herzmedikament bislang nur an tierischen und menschlichen Zellen im Labor getestet. Im Versuch kurbelt der Wirkstoff die Reparatur geschädigter Nervenzellen an. Die Ergebnisse ihrer Studie veröffentlichten sie im Fachmagazin Cell Chemical Biology.

Herzmittel lässt myelinbildende Zellen wieder reifen

Ein zentraler Mitspieler beim Prozess der Remyelinisierung ist der sogenannte GPR17-Rezeptor. An diese Andockstelle heften sich bestimmte Botenstoffe an. Der Rezeptor wiederum steuert die Reifung von Vorläufern der sogenannten Oligodendrozyten. Dies sind jene Zellen, die Myelin bilden.

Die Wissenschaftler durchforsteten Datenbanken nach Substanzen, die möglicherweise diesen Rezeptor beeinflussen können. Alle Kandidaten testeten sie auf ihren jeweiligen Effekt auf den GPR17-Rezeptor hin. Eine der Testsubstanzen – ein Wirkstoff namens HAMI3379 – war in der Lage, auf den GPR17-Rezeptor einzuwirken. Das zeigte sich sowohl bei tierischen als auch an menschlichen Zellen im Labor.

HAMI3379 bewirkte in den getesteten Kulturen, dass die Oligodendrozyten ausreiften und dabei ihre charakteristischen Myelin-Ärmchen bildeten. "Möglicherweise eignet sich HAMI3379 als Ausgangspunkt für neue MS-Medikamente", hofft Prof. Evi Kostenis vom Institut für Pharmazeutische Biologie der Universität Bonn. Nicht bewiesen sei mit dem Experiment jedoch, dass die Substanz die Myelinhülle auch im Gehirn lebender Organismen wiederherstellen könne. "Angesichts unserer Experimente sind wir aber vorsichtig optimistisch", sagt Kostenis. Weitere Experimente und Studien würden noch Jahre in Anspruch nehmen.

Dass HAMI3379 schon als Wirkstoff gegen bestimmte Herzerkrankungen in der Entwicklung war, sei aber vielleicht ein Vorteil. Damit hat er bereits einige Hürden genommen, die neue Medikamente vor ihrem Test an Menschen überwinden müssen.

Oligodendrocyten

Vor ihrer Ausreifung (links) haben Oligodendrozyten nur wenige Myelin-Ärmchen. Ausgereift (rechts) sind sie von einem Netz solcher Fortsätze umgeben.

Reparaturarbeiten sind bei MS gestört

Oligodendrozyten ähneln optisch winzigen Kraken: Sie besitzen viele lange Ärmchen, die zum Großteil aus Myelin bestehen. Wie ein Isolierband wickeln sich diese um die Fortsätze der Nervenzellen. Normalerweise hält diese Schutzschicht ein Leben lang – aber nicht immer.

Um defektes Myelin zu reparieren, hält das Gehirn einen Vorrat an Vorläuferzellen vor. Bei einem Schaden reifen sie zu Oligodendrozyten heran und "flicken" das Loch in der Myelinhülle. Bei Patienten mit multipler Sklerose ist dieser Mechanismus jedoch gestört: Viele Zellen, die diese schützende Isolierschicht bilden könnten, verharren in einem unreifen Zustand. Bereits vor einigen Jahren entdeckten die Bonner Forscher, dass sich dieser Reifungsprozess gezielt anschalten lässt. Sie fanden einen Wirkstoff, der den GPR17-Rezeptor hemmte und die Reifung der Oligodendrozyten anstieß. Dieser funktionierte im Gegensatz zum neu gefundenen aber nicht mit menschlichen Zellen, sondern nur im Versuch mit Nagetieren.

Derzeitige Behandlungen bei multipler Sklerose richten sich meist gegen das Immunsystem. Sie drosseln seine Aktivität und versuchen so, die Zerstörung des Myelins aufzuhalten. Zukunftsziel vieler Forscher ist es, die geschädigte Myelinhülle um die Nervenfasern zu reparieren.

Quelle:

Merten, N. et al.: Repurposing HAMI3379 to Block GPR17 and Promote Rodent and Human Oligodendrocyte Differentiation. Cell Chemical Biology (Juni 2018)

*Quelle: www.onmeda.de

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