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Steffi H., MS-Betroffene, 50 Jahre

Erfahrungsberichte

Wenn alles ringsherum zu viel wird

12 Minuten

Veröffentlicht am 28.08.2018  von  Steffi H.

In meinem Kopf war schon soweit klar, was ich Euch heute in meinem Blogbeitrag berichten wollte. Ich hatte im vergangenen Jahr auf einer meiner neuerdings relativ häufigen Zugreisen ein Erlebnis, was ziemlich genau DAS beschreibt, über was ich Euch heute berichten will – ÜBERFORDERUNG.

Am Welt-MS-Tag zum “Vlogger”-Workshop

Dann kam der Welt MS Tag 2018 und ich war einmal mehr auf der Reise in Sachen „bloggen“.

  • Wetter: 30 Grad (oder eher noch heißer), blauer Himmel, Sonnenschein – besser geht’s nicht.
  • Stimmung: Super, denn ich habe die ganze Woche Urlaub, mich gut vorbereitet und es geht mir gut.
  • Gesellschaft: Hervorragend! Schon auf der Reise, die ich zusammen mit meiner Yogalehrerin und mittlerweile guten Freundin gemacht habe. Und hier am Zielort des Geschehens, allesamt liebe Leute, von denen ich die meisten auch schon kenne – inklusive Wayne als „Zuckerli“ obendrauf.

Alles in allem also: „CHECK – LÄUFT BEI MIR“, das kann nur gut, nee, PERFEKT werden!

Eigentlich weiß ich immer genau, dass und wann ich Auszeiten brauche. Mein „hauseigenes Navi“ merkt gut, wenn alles zu viel wird.

Meistens stimmt das wohl auch – aber meistens ist eben nicht immer.

Alles lief gut – bis der Blackout wieder kam

Der Workshop läuft großartig, ist kurzweilig und sehr interessant. Dann kommt der praktische Teil, wir sollen ja nicht nur dasitzen und zuhören, sondern dann auch gleich einmal ausprobieren, ob und wie wir das Vloggen (Video bloggen) in der Praxis umsetzen können.

Die Aufgabe ist, gemeinsam mit einem der anderen Blogger ein kurzes Video zu drehen. Themen sind grob vorgegeben, können aber individuell ausgestaltet werden. Es gibt genügend Zeit, um sich über das Thema Gedanken und Notizen zu machen. Wie ich es von mir gewohnt bin, kritzeln meine Finger viele, viele Gedanken zum Thema auf‘s Papier und gleichzeitig entstehen in meinem Kopf schon ganze Sätze und der Ablauf meines Vlogs ist glasklar.

Steffi beim Vloggen

Steffi und Sandra beim Vloggen

Nach viel Spaß beim Einrichten der Technik zusammen mit meiner „Sparring-Partnerin“ Sandra, stehe ich vor meiner Handykamera und signalisiere ihr: „Go“. Die ersten Sätze kommen wie gedanklich schon vorweg genommen, dann ein Verhaspler – Stopp. OK, dann ein zweites Mal, ist ja nicht so schlimm, an einem Profi-Filmset braucht es ja schließlich auch mehrere Versuche, bis „alles im Kasten“ ist.

Der zweite Versuch gleicht dem Ersten fast bis auf‘s Haar – kein Problem, aller guten Dinge sind schließlich drei. Der dritte Versuch geht gut los und plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, ist da nur noch eine gähnende Leere in meinem Kopf. Ich stocke, breche ab, als ich merke, dass jetzt auch noch Panik in mir aufsteigt, weil ich so gar nicht nachvollziehen kann (will), was das jetzt soll. Es war doch – Himmelsakrament nochmal – ein ganz einfaches Ding und ich schaffe es nicht? …versage? …kann ja wohl nicht sein!!!

Um die immer noch in mir aufsteigen wollende Panik und Verzweiflung eben nicht komplett von mir Besitz ergreifen zu lassen, stürze ich mich mehr oder weniger in eine andere Arbeit – ich versuche, meiner „Sparring-Partnerin“ Sandra absolut (über-)eifrig ein möglichst perfektes Ergebnis ihres Videoclips zu ermöglichen. Ich verfalle quasi wieder in eines meiner uralten und ureigensten Verhaltensmuster: Ich bin gestresst, weil ??? Keine Ahnung – egal, ich setze noch einen drauf und stürze mich in die nächste Action.

WARUM nochmal kam der Blackout?

Der Clip von Sandra ist fertig, er ist super gut geworden und ganz langsam dämmert mir, was den Blackout bei mir verursacht hat, als ich mir endlich einmal die Zeit nehme zu analysieren, WAS da gerade alles um mich herum passiert:

  • Mindestens 15 Menschen wuseln um mich herum in Zweier- oder Dreiergruppen und tun das Gleiche, was Sandra und ich gerade mehr oder weniger erfolgreich getan haben – dabei entsteht Lärm und viel Bewegung.
  • Gleichzeitig werden im Raum neben uns mit ganz viel Spaß professionell Fotos aufgenommen – auch das erzeugt Lärm und Bewegung.
  • Wer nichts mit beidem zu tun hat steht oder geht zwischen den Akteuren herum und tätigt einen regen Erfahrungsaustausch – schon wieder Lärm und Bewegung.
  • Draußen am unmittelbaren Nachbargebäude „turnen“ zwei Bauarbeiter mit freiem Oberkörper und vielen Muskeln auf dem dort befindlichen Gerüst herum (...warum muss ich jetzt grinsend an eine sehr bekannte Limonadenwerbung denken?) und machen: Lärm und Bewegung.
  • Und weil das alles noch nicht genug ist, ist heute (Ende Mai, also noch Frühling) ein Tag, an dem hochsommerliche Temperaturen herrschen, die „Otto Normalverbraucher“ schon alles abverlangen, aber jemanden mit einer chronischen Erkrankung wie MS früher oder später in die Knie zwingen.

Einen kurzen Moment denke ich daran, Sandra zu bitten, dass wir noch einen Versuch starten, mein Video aufzunehmen. Ziemlich zeitgleich kommt das Kommando: „Bitte jetzt zurück in den Schulungsraum, wir schauen uns an, was Ihr alle zusammen geschafft habt“. Und damit verschwindet auch mein Gedanke an einen letzten Versuch. Zurück bleibt bei mir nach diesem Erlebnis der fade Beigeschmack, versagt zu haben, nicht gut genug gewesen zu sein.

Es muss nicht immer alles perfekt sein!

Während wir gemeinsam die fertigen Clips einiger anderer Teilnehmer anschauen und darüber reden, kommt von unserem Coach Wayne immer wieder die Frage: „Was gefällt Dir an Deinem Videoclip?“, wenn der Protagonist verzweifelt versucht, seine (oftmals vermeintlichen) Unzulänglichkeiten aufzuzählen. Das scheint eine angeborene/anerzogene menschliche Eigenart zu sein – immer erst mal sich selbst kritisieren. Ich kann mich nicht wirklich völlig auf das Geschehen konzentrieren, weil meine Gedanken immer um mein eigenes „Scheitern“ kreisen.

Gott sei Dank, reicht die Zeit nicht aus, um die Clips von allen Teilnehmern anzuschauen und so bleibt mir die Peinlichkeit erspart, allen Anderen mein Versagen zu offenbaren. Was in mir nachklingt ist Waynes penetrante Frage: „Was gefällt Dir an Deinem Videoclip?“

Jetzt weiß ich es! Mir gefällt an meinem Videoclip:
DASS ICH VERSAGT HABE, DASS ICH EINEN DIESER SO TYPISCHEN BLACKOUTS HATTE, DIE IMMER DANN PASSIEREN, WENN RINGSHERUM ALLES ZU VIEL WIRD!!!

Genau DAS ist doch das Thema, mit dem ich mich bei meinem nächsten Blogbeitrag beschäftigen wollte und irgendwie – alles zu seiner Zeit...

Was habe ich (erneut) gelernt? Dass ich noch achtsamer mit mir sein muss UND dass ich meine (wohl immer noch überhöhten) perfektionistischen Ansprüche an mich selbst überdenken und anpassen muss. Es ist kein Problem, wenn manche Dinge nicht so laufen, wie wir sie uns wünschen und/oder vorstellen. Wichtig ist nur, dass wir dann nicht mit uns hadern, sondern dass wir uns die Frage stellen (lassen): „Was gefällt Dir daran?“

Mir gefällt dieser Gedanke!

Inhaltlich geprüft: M-DE-00003220

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